München/Berlin – Die drei Herren haben es eilig. Es muss einiges passiert sein, wenn Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner gemeinsam zu einer ungeplanten Pressekonferenz laden. Doch sie nehmen sich keine fünf Minuten Zeit. Beim Kanzler klingt es so, als sei das „wichtige Urteil“, das das Bundesverfassungsgericht da zur Haushaltspolitik gesprochen hat, eher ein formaler Akt. Man werde den Klimafonds nun „zügig überarbeiten“ und dafür sorgen, dass nicht „unnötig Mittel verausgabt werden“. Der Bundeskanzler klingt wie der Direktor eines kleinen Finanzamts.
Neben Scholz stehen Habeck und Lindner. Dem grünen Wirtschaftsminister steht der Frust über den Richterspruch ins Gesicht geschrieben. Er zählt die Punkte auf, die der Klimafonds finanzieren soll (siehe unten). Jeder ein grünes Herzensanliegen. Es quält ihn. Dagegen wirkt Christian Lindner – als Finanzminister für den Haushalt hauptverantwortlich – erstaunlich aufgeräumt.
Für die Opposition ist es ein guter Tag. Vehement hatte die Union die Haushaltstricks der Ampel kritisiert. Dass Karlsruhe ihre Klage nun bestätigt, wird noch lange nachhallen. „Eine Klatsche mit Wumms für den Bundeskanzler und die Ampel-Koalition“ sieht CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.
Doch worum geht es? Während der Coronakrise hatte sich die Bundesregierung eine Kreditermächtigung über 60 Milliarden Euro genehmigt. Dies ist in solch außergewöhnlichen Situationen wie bei Naturkatastrophen trotz Schuldenbremse möglich. Weil das Geld aber letztlich nicht gebraucht wurde, widmete die Regierung die Notsituation im Jahr 2022 einfach rückwirkend um: Klimakrise statt Pandemie.
Das Gericht stellt nun klar, dass es einen Zusammenhang zwischen der Notsituation und den finanzierten Maßnahmen geben müsse. Der Gesetzgeber habe prinzipiell Spielraum dabei. Je länger die Krise aber andauere, desto besser müsse man begründen, warum bestimmte Maßnahmen zur Lösung dienen sollten, heißt es in dem 64 Seiten langen Urteil. (Az. 2 BvF 1/22)
Der Gesetzgeber habe das in diesem Fall nicht ausreichend deutlich gemacht, rügt die Vorsitzende Richterin des Zweiten Senats, Doris König, am Mittwochmorgen in Karlsruhe. Ein weiterer Punkt: Mittel, die wegen der Notlage einem Sondervermögen zugeführt wurden, dürften nur in dem Haushaltsjahr eingesetzt werden, für das sie bereitgestellt wurden.
In Berlin versucht die Union am Mittag, den Kanzler noch ein wenig vorzuführen. Kurz nach seiner Pressekonferenz muss sich Scholz im Parlament den Fragen der Abgeordneten stellen. Unions-Fraktionsvize Mathias Middelberg will wissen, wer denn die Idee für den Steuertrick gehabt habe. Scholz weicht freundlich aus, spricht immer nur von „wir“. Doch Middelberg ist vorbereitet. Er hat eine ältere Presseerklärung aus dem Finanzministerium dabei, aus der klar hervorgeht, wer der Urheber ist: der ehemalige Finanzminister Scholz persönlich.
Der Kanzler selbst kündigt eine sorgfältige Prüfung des Urteils an. Das ist natürlich eine Verteidigungsfloskel, hat aber auch einen realen Hintergrund. „Das ist das Ende aller Schattenhaushalte, jedenfalls derer, die schuldenfinanziert sind“, sagt auch Unionsfraktionschef Friedrich Merz. Der Bund unterhält 29 Sondervermögen mit Verschuldungsmöglichkeiten in Höhe mehrerer hundert Milliarden Euro.
Ökonomen bringen eine generelle Neuregelung ins Spiel. „Denkbar wäre eine Reform der Schuldenbremse, die Neuverschuldung auf Nettoinvestitionen begrenzt“, sagt Ifo-Chef Clemens Fuest. Und Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) findet die Schuldenbremse nicht mehr zeitgemäß, „weil sie der Politik notwendigen Spielraum nimmt, um Krisen zu bekämpfen und dringende Zukunftsinvestitionen zu tätigen – in Bildung, Klimaschutz, Innovation und Infrastruktur“. (mit dpa)