So aufgewühlt wie derzeit war Spanien lange nicht: Als man Pedro Sánchez gestern im abgeschirmten Parlament erneut zum Ministerpräsidenten wählte, wurde draußen protestiert. Wie schon seit Tagen. Der Zweitplatzierte der Wahl kann nur mithilfe der Separatisten aus Katalonien weiterregieren, denen er eine Amnestie versprochen hat. Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Diejenigen, die das Land verlassen wollen, bestimmen nun seine Regierung – die sie sonst immer ablehnten. „Die Büchse der Pandora ist geöffnet“, kommentierte die valencianische Zeitung „Las Provincias“. „El Mundo“ schrieb vom „Staatsstreich in Zeitlupe“.
Auch in Spanien vertiefen sich damit die Gräben. Die rechtsextreme Vox, aber auch die konservative PP (eigentlich die Wahlsiegerin) warnen fast hysterisch vor einem Abgleiten in eine Diktatur, wie sie die älteren Spanier noch selbst erlebt haben, ehe Franco im Jahr 1975 starb. Sie werfen Sánchez vor, Spanien zu „verkaufen“ und sich von den Separatisten „erpressen“ zu lassen. Der Sozialist wiederum stellt die konservative Opposition als einen Haufen reaktionärer Spinner dar.
In dieser Stimmung soll Sánchez nun also regieren. Je nach Umfrage lehnen bis zu 70 Prozent der Spanier die Amnestie ab – vor allem der noch im Exil lebende Carles Puigdemont polarisiert. Der Premier versucht sein Vorgehen als Zeichen der Aussöhnung umzudeuten. Die Separatisten hätten zugesichert, sich künftig an die Verfassung zu halten. Ob sie sich daran halten? Mal sehen, wann Sánchez dieses Konstrukt um die Ohren fliegt.
Mike.Schier@ovb.net