München – Die Praxiserfahrung ist in der Bundesregierung unterschiedlich verteilt. Bundeskanzler Olaf Scholz ((SPD) hat nach eigenen Angaben noch nie einen Joint geraucht – „auch keinen einzigen Zug“. Seinem Landwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen wurde von manchen mehr Expertise unterstellt, nachdem er vor Jahren einmal mit einer Hanfpflanze auf seinem Balkon posierte. Doch für die geplante Cannabis-Legalisierung ist in der Ampel Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zuständig. Der hat in seinem Leben zwar immerhin ein einziges Mal Marihuana geraucht („sehr angenehm“) – erntet für seine Gesetzespläne aber dennoch weiter viel Kritik.
Lauterbachs Entwurf sieht vor, Cannabis im Betäubungsmittelgesetz von der Liste verbotener Substanzen zu streichen. Ab 18 Jahren soll der Besitz von 25 Gramm erlaubt werden. Privat sollen maximal drei Pflanzen angebaut werden dürfen. In Cannabis-Clubs sollen Vereinsmitglieder gemeinschaftlich anbauen und gegenseitig abgeben dürfen – so die Kurzfassung. Der Konsum soll damit sicherer werden, der Schwarzmarkt ausgetrocknet.
Doch während das Gesetz in seine Endphase geht, wird von fast allen Seiten gemeckert. „Die Legalisierung von Cannabis führt zu mehr Konsum und verharmlost die damit verbundenen Risiken“, klagt die Bundesärztekammer. Der Richterbund fürchtet hingegen die juristische Kleinteiligkeit mit dutzenden Bußgeldtatbeständen und einem hohen Kontrollaufwand. Passend dazu halten es weder der Deutsche Hanfverband noch die Gewerkschaft der Polizei für realistisch, eine verbotene Weitergabe von Cannabis durch Club-Mitglieder an Dritte zu kontrollieren.
Die bereits bestehenden Anbauvereine und Projekte in Vorbereitung sehen hingegen in den vorgesehenen Abstandsregeln zu Schulen sowie Kinder- und Jugendeinrichtungen ein Problem. So ließen sich kaum geeignete Flächen für den Anbau und die Cannabisabgabe finden. Auch beim Konsumverbot in diesem Bereich droht Ärger. Wie soll schließlich jemand wissen, ob sich in der Nähe nicht vielleicht eine Schule befindet? Und soll die Polizei das wirklich kontrollieren?
Georg Wurth vom Deutschen Hanfverband merkt zudem an, dass „gerade die intensiveren Konsumenten“ in der Vergangenheit oft „Erfahrung mit Repressionen“ gemacht hätten. Diese dürften deshalb „zurückhaltend“ reagieren, wenn sie im Cannabis-Club ihre Daten inklusive Verbrauchsmengen angeben sollen. Schließlich könnte der Konsum in der Zukunft auch wieder illegal werden. Die Liste der Kritikpunkte und offenen Fragen geht noch deutlich weiter.
Ursprünglich sollte das Gesetz zum 1. Januar in Kraft treten. Lauterbach gab gestern jedoch bekannt, dass es noch dauern wird. Für Bayerns neue Gesundheitsministerin Judith Gerlach ein passender Anlass, das Vorhaben gleich ganz zu stoppen. Die Bundesregierung müsse „auf eine Legalisierung verzichten“, sagt die CSU-Politikerin. Lauterbach betont hingegen, die inhaltliche Debatte sei trotz Verzögerung abgeschlossen. „Der Start in die Cannabis-Gesetzgebung wird gelingen.“ SEBASTIAN HORSCH