VON GEORG ANASTASIADIS
Für die Ampelregierung ist nach dem Verfassungsurteil vom Mittwoch eine zweite Zeitenwende angebrochen, die finanzpolitische. Doch das erste Opfer sind nicht die teuren, den Haushalt beherrschenden grünen Klimaprojekte (die kommen später auch noch dran) – sondern die Wirte. Sie werden ab 2024 ihren Gästen wieder den vollen Mehrwertsteuersatz abverlangen müssen. Man mag das bedauern. Doch klar ist: Der Staat, dem nach dem richterlichen Verbot der wundersamen Geldvermehrung 60 Milliarden Euro fehlen, muss nach dem hoffentlich heilsamen Schock wieder anfangen, sich auf seine wirklich zentralen Aufgaben zu besinnen und Ausgaben zu priorisieren.
Darin liegt auch eine Chance. Das gilt in doppelter Weise für die FDP und ihren Finanzminister Christian Lindner, dessen Aufgabe bisher in erster Linie darin bestand, die nötigen Finanzmittel für das teils wirre Wünsch-dir-was seiner Ampelpartner herbeizuzaubern, und zwar unter Vermeidung von Steuererhöhungen. Lindner hat jetzt – mit Karlsruher Auftrag und Rückendeckung – erstens die Chance, die Rückkehr zur finanzpolitischen Vernunft durchzusetzen. Oder, sollte dies am Widerstand von Grünen und SPD scheitern, die Liberalen erhobenen Hauptes aus der ungeliebten Koalition heraus- und in einen Steuererhöhung-nein-danke-Wahlkampf hineinzuführen.
Lindner ist offenkundig bereit – wenn nötig zu beidem. Bis in die Wortwahl gleicht seine Ansage, man sei nun an einem „Wendepunkt“ angekommen und werde „mit weniger Geld wirksamere Politik machen müssen als im vergangenen Jahrzehnt“, dem berühmten „Wendepapier“ des früheren FDP-Wirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff. Der setzte am 9. September 1982 mit einem Forderungskatalog für wirtschafts- und finanzpolitische Reformen dem SPD-Kanzler Helmut Schmidt und der SPD-Linken die Pistole auf die Brust. Neun Tage später war Deutschlands erste sozialliberale Koalition zu Ende.
Georg.Anastasiadis@ovb.net