Kurzbesuch ohne Kompromisse

von Redaktion

VON MARC BEYER

München/Berlin – Es hat schon herzlichere Begrüßungen gegeben als diese. Für Fototermine bringen Spitzenpolitiker ihre Gesichtszüge gewöhnlich unter Kontrolle, selbst schwierigste Gäste empfängt man mit einer gewissen Sachlichkeit, doch als Recep Tayyip Erdogan am Freitagnachmittag vor dem Schloss Bellevue eintrifft, scheint diese alte Regel außer Kraft gesetzt zu sein. Sowohl er als auch Frank-Walter Steinmeier blicken ernst. Der Bundespräsident wirkt regelrecht betroffen.

Dass dies ein heikler Besuch sein würde, war von Anfang an klar. Leicht ist es mit Erdogan selten gewesen, doch vor dem Hintergrund des Kriegs im Nahen Osten und der israelkritischen Haltung des Präsidenten ist die Stimmung besonders aufgeladen. Erdogans Attacken auf Israel („Terrorstaat“) und das Verständnis für die Hamas („Befreiungsorganisation“) haben für Entsetzen gesorgt. Dass Erdogan überhaupt anreiste und nicht ausgeladen wurde, empfand mancher Beobachter als Zumutung.

Im Vorfeld wies Olaf Scholz darauf hin, er werde „sehr deutlich“ seine Position vorbringen. Der Kanzler setzt sein Vorhaben dann auch um. Im Ton ist er freundlich, in der Sache unmissverständlich. Scholz betont das Recht Israels auf Selbstverteidigung und sagt: „Wer Deutschland kennt, der weiß, unsere Solidarität steht außer Frage.“

Wie grundverschieden die Positionen sind, wird bei diesem kurzen Presseauftritt mehr als deutlich. Während Erdogan die Attacken der Hamas ins Verhältnis zu der Zahl der toten Zivilisten im Gazastreifen setzt, die israelischen Geiseln zu palästinensischen Gefangenen in Israel und die Feuerkraft der Terrororganisation gegen das Arsenal des israelischen Militärs („Kann man das überhaupt vergleichen?“), verbietet sich für Scholz jede Relativierung. „Gaza ist die Geisel der Hamas“, betont er.

Erdogan ist nur wenige Stunden in Berlin. Noch bevor im Kanzleramt das Abendessen serviert wird, stehen beide vor der Presse. Die Tatsache, dass es diesen Auftritt gibt, ist mehr als bloß eine protokollarische Randnotiz. Neulich beim Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten waren bei der Pressebegegnung Fragen der Medienvertreter nicht erwünscht.

Erdogan ist nun also ein bisschen aufgeschlossener als die Chinesen, aber das ist nicht mit Annäherung zu verwechseln. Kritik an der Hamas ist von ihm auch bei dieser Gelegenheit nicht zu hören. Seine Rede ist fast doppelt so lang wie die von Scholz, sein Themenkatalog umfangreich, seine Ansichten sind kompromisslos, seine Forderungen klar. Zumindest wiederholt er seine umstrittenen Äußerungen, in denen er Israel „Faschismus“ vorwarf und dem Staat indirekt das Existenzrecht absprach, auf Nachfrage nicht. Aber selbst das Thema EU-Beitritt bringt er auf den Tisch. 52 Jahre stehe man schon wartend vor der Tür,

Harmonisch klingt das alles nicht. Schon der Bundespräsident hatte es am Nachmittag nicht an Klarheit mangeln lassen. „Mit Nachdruck“ habe Steinmeier das Thema Nahost angesprochen, heißt es später. Er habe „die Einstufung des Überfalls der Hamas auf Israel als Terrorangriff und der Hamas als Terrororganisation unterstrichen“, auch das Recht Israels auf Selbstverteidigung. Dass all das so explizit herausgestellt wird, lässt erahnen, wie wenig Verständnis Erdogan aufgebracht haben dürfte.

Sogar der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, geht Stunden vor der Ankunft Erdogans auf Distanz zu seinem Präsidenten und seiner Israel-Kritik, wenn auch eher vorsichtig. „Diese Parolen über die Medien helfen nicht den Menschen“, sagt Sofuoglu im BR. Dennoch sei es wichtig, im Gespräch zu bleiben und auf Diplomatie zu setzen.

Das sieht man, allen Differenzen zum Trotz, in Berlin ähnlich. Es geht an diesem Abend auch um die Ukraine, einen neuen Getreidedeal, Schwedens Nato-Beitritt. Die Türkei will zudem 40 Eurofighter anschaffen und benötigt Berlins Zustimmung. Lauter Themen, bei denen es um ein Miteinander geht. Am Ende dieses spannungsreichen Auftritts zieht Scholz prompt ein erstaunliches Fazit: „Wir sind, wie Sie sehen, in guten Gesprächen.“

Artikel 1 von 11