München/Tel Aviv– Adi Marciano fällt es schwer, die folgenden Worte auszusprechen: „Wir hatten das große Privileg, ein Mädchen wie dich großzuziehen“, sagt sie am Freitag unter Tränen auf der Beerdigung ihrer Tochter. Am Tag zuvor hatte das israelische Militär die Leiche der 19-jährigen Noa Marciano aus dem Gazastreifen zurück nach Israel gebracht. Ihre sterblichen Überreste waren in der Nähe der Schifa-Klinik in Gaza gefunden worden.
Die junge Soldatin war eine von fast 240 Geiseln, die bei den Angriffen am 7. Oktober von der Hamas entführt wurden. Die Terroristen hatten vor einigen Tagen ein Video veröffentlicht, in dem sich Marciano selbst identifiziert. Dazu verbreiteten sie ein Foto von ihrem leblosen Körper.
Das israelische Militär entdeckte zudem die Leiche einer 65-jährigen Geisel – ebenfalls in der Nähe des Schifa-Krankenhauses. Die Rentnerin Yehudit Weiss wurde in einem Nebengebäude der Klinik gefunden. Dort waren auch Waffen wie Maschinenpistolen und Panzerfäuste, heißt es.
Die Armee hatte das größte Krankenhaus im Gazastreifen am Mittwoch gestürmt. Bei ihrem Einsatz in der größten Klinik des Küstenstreifens fanden die Streitkräfte nach eigenen Angaben auch Kommando- und Kontrollzentren. Unklar blieb, ob es sich dabei auch um die von der Armee unter dem Krankenhaus vermutete Kommandozentrale der palästinensischen Islamistenorganisation handelte. Die Hamas bestreitet die Existenz eines solchen Stützpunkts unter der Klinik.
Der israelische Regierungschef räumte ein, dass die Streitkräfte bei ihrem Versuch, zivile Opfer zu vermeiden, nicht immer erfolgreich seien. Zwar versuche das Militär, den Militäreinsatz im Gazastreifen mit einem Minimum an zivilen Opfern zu beenden, sagte Benjamin Ne-tanjahu. „Aber leider gelingt es uns nicht. Jeder Tod eines Zivilisten ist eine Tragödie. Wir versuchen alles in unserer Macht Stehende zu tun, um Zivilisten aus der Gefahrenzone zu bringen, während die Hamas alles tut, um sie dort festzuhalten.“
Israel ruft die Bevölkerung im Norden seit Wochen dazu auf, sich „zu ihrer eigenen Sicherheit“ in den Süden des Küstenstreifens zu begeben. Doch auch dort kam es zu israelischen Luftangriffen. Laut der Armee soll es sich dabei um gezielte Attacken auf Mitglieder der islamistischen Hamas handeln. Die Angaben waren nicht unabhängig zu überprüfen.
Eine aktuelle Meinungsumfrage zeigt derweil, dass die Mehrheit der Palästinenser mit der Hamas sympathisiert. Das Awrad-Institut in Ramallah hat dafür 668 Menschen im Westjordanland und im Gazastreifen befragt. Demnach bewerten 68 Prozent der Menschen die Rolle der Hamas positiv. 75 Prozent unterstützen die sogenannte „militärische Operation“ der Hamas am 7. Oktober in Israel. Nur sieben Prozent lehnen das Massaker in der Umfrage komplett ab.
Lediglich 19 Prozent der Befragten glauben, dass der aktuelle Gaza-Krieg ein Krieg zwischen Israel und der Hamas ist – 64 Prozent sehen in dem Konflikt einen Krieg zwischen Israel und Palästinensern allgemein. kab/afp