Tel Aviv/Doha – Gut sechs Wochen nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel scheint die erhoffte Freilassung von Geiseln im Gazastreifen näher zu rücken. Es gebe nur noch sehr niedrige Hürden für eine Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas, sagte Katars Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman Al Thani, dessen Emirat eine wichtige Vermittlerrolle hat.
Unterdessen schritt die Evakuierung der umkämpften Schifa-Klink in Gaza, die Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nach einem Besuch am Wochenende als „Todeszone“ bezeichneten, voran. Rund 30 Frühchen wurden in den Süden des Gazastreifens verlegt. Nach Medienberichten aus den USA und Israel könnte es eine Einigung auf eine fünftägige Feuerpause und mehr humanitäre Hilfe geben – und im Gegenzug eine Freilassung Dutzender Geiseln.
Insgesamt sind rund 240 Menschen von Terroristen in den Gazastreifen verschleppt worden, wo sie nach israelischen Informationen auch in dem weit verzweigten Tunnelsystem der Hamas festgehalten werden. Am Samstag hatten in Israel Zehntausende Menschen mit einem tagelangen Protestmarsch für einen Deal zu ihrer Freilassung Jerusalem erreicht.
Von offizieller israelischer Seite gab es zunächst keine Bestätigung für ein bevorstehendes Geisel-Abkommen. Der Sender N12 meldete, im Raum stehe die Freilassung von 87 Geiseln, darunter 53 Frauen, Kinder und Jugendliche sowie 34 Ausländer. Im Gegenzug müsse Israel sich zu fünf Tagen Kampfpause sowie zur Freilassung weiblicher und minderjähriger palästinensischer Häftlinge sowie sogenannter Sicherheitshäftlinge verpflichten. Außerdem verlangt die Hamas die Einfuhr von mehr Treibstoff, der unter anderem zur Stromversorgung wichtig ist.
Die Geiseln waren im Zuge der Massaker in Israel am 7. Oktober mit 1200 Toten verschleppt worden. Als Reaktion begann Israel mit massiven Luftangriffen und startete Ende Oktober eine Bodenoffensive im nördlichen Gazastreifen. Dabei wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde bislang mehr als 12 300 Menschen getötet. Rund 30 000 Menschen seien verletzt worden. Bei israelischen Angriffen in der Stadt Chan Junis im südlichen Gazastreifen wurden mindestens 47 Menschen getötet. Dies ging aus einer am Sonntag veröffentlichten Statistik des Nasser-Krankenhauses hervor. Die Zahlen lassen sich derzeit nicht unabhängig überprüfen.
Der israelische Verteidigungsminister Joav Galant hatte am Samstag angekündigt, die Angriffe gegen die Hamas und andere Terrorgruppen im Gazastreifen sollten in Kürze auf den Süden ausgeweitet werden. Das Militär ruft die Einwohner des Nordens seit mehr als einem Monat dazu auf, in eine Zone im Süden zu fliehen, die westlich von Chan Junis am Mittelmeer liegt. Allein am Samstag waren nach UN-Angaben etwa 10 000 Menschen geflüchtet.
Beim Einschlag eines Geschosses in einer UN-Schule im nördlichen Gazastreifen soll es am Samstag zahlreiche Tote gegeben haben. Ein Sprecher der Hamas-Behörden berichtete von vielen Toten und Verletzten in der Schule im Flüchtlingsviertel Dschabalia. Er warf der israelischen Armee vor, das Gebäude angegriffen zu haben. Das Militär teilte mit, man prüfe die Berichte.
US-Präsident Joe Biden sprach sich unterdessen erneut für eine Zwei-Staaten-Lösung im Nahost-Konflikt aus. Dabei brachte er in einem am Samstag veröffentlichten Meinungsbeitrag in der „Washington Post“ auch Sanktionen gegen extremistische Siedler im Westjordanland ins Spiel. Der Demokrat kritisierte abermals „die extremistische Gewalt gegen Palästinenser im Westjordanland“. Biden zeichnete auf, wie die Zukunft in der Region seiner Auffassung nach aussehen soll. „So viel ist klar: Eine Zwei-Staaten-Lösung ist der einzige Weg, um die langfristige Sicherheit sowohl des israelischen als auch des palästinensischen Volkes zu gewährleisten“, schrieb er. dpa