München – Die Ampel steckt in einer Krise: Erst die Dauer-Streiterei, dazu miserable Umfragewerte – und nun ein fettes 60-Milliarden-Loch im Haushalt. Ermunternde Zeichen des Zusammenhalts? Fehlanzeige. Im Gegenteil: Bei der Aufregung um die Mehrwertsteuer in der Gastronomie schiebt Finanzminister Christian Lindner (FDP) die Schuld auf seine Koalitionspartner. Politikwissenschaftlerin Ursula Münch glaubt trotzdem nicht an einen Ampel-Bruch. Im Interview erklärt die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, warum eine GroKo-Alternative genauso viele Probleme machen würde.
Frau Münch, die Ampel steht vor einem Scherbenhaufen – aber anstatt ihn gemeinsam aufzukehren, schießt Lindner munter gegen seine Koalitionspartner. Hat das Kalkül?
Dass Lindner jetzt die Rückkehr zur erhöhten Mehrwertsteuer auf Grüne und SPD schiebt, passt natürlich in die Linie der FDP. Damit will er nicht die Koalitionspartner ärgern, sondern seine Klientel bedienen: also Wirte und die Kundschaft, die sich Restaurantbesuche noch leisten kann. Das mag in der aktuellen Situation widersprüchlich wirken – immerhin muss jetzt nach dem Karlsruher Urteil an allen Ecken gespart werden. Andererseits passt diese inhaltliche Ausrichtung der FDP auch zu ihrer früheren Positionierung.
Mit dem 60-Milliarden-Loch fehlt Geld für grüne Projekte – und die FDP will bei Ausgaben neue Prioritäten setzen. Kann das die Streit-Ampel überleben?
Es ist wichtig, dass wir nicht so tun, als sei der Klimafonds nur ein Grünen-Thema. Ein Großteil der Wählerschaft hat sich eine klimafreundliche Wirtschaft und Fortschritte in der Digitalisierung gewünscht. Insofern fällt dieses Thema uns allen auf die Füße. Jede andere Regierung wäre damit genauso überfordert. Auch ein Bundeskanzler Friedrich Merz müsste Klimapolitik betreiben.
Glauben Sie, es kommt zum Ampel-Bruch?
Ich denke, alle drei Parteien hätten gerne einen Regierungswechsel – aber niemand will das riskieren. Wer sollte die Reißleine ziehen? Für die FDP wären Neuwahlen existenzbedrohend. Unter einer unionsgeführten Jamaika-Koalition würden sich Grüne und FDP nach wie vor streiten. Die einzige Möglichkeit wäre vielleicht noch eine SPD-geführte Regierung mit der Union. Aber wären CDU und CSU dazu bereit, wenn sie doch eigentlich in Umfragen führen? Ich halte das alles für nicht sehr realistisch.
Dabei scharrt Markus Söder doch schon mit den Hufen …
Es wäre mir aber neu, dass die CSU das allein entscheidet. Söders Junior-Partner-Idee dürfte in der Union extrem umstritten sein. Viele werden sich fragen, ob sich die Union damit nicht zu billig verkauft – immerhin würde bei Neuwahlen viel mehr rausspringen. Wir würden vermutlich Zeugen eines dauernden Machtkampfes zwischen SPD und Union werden. Ich höre Merz schon rufen: „Eigentlich müsste ich doch Kanzler sein.“
Dafür würde die GroKo vielleicht inhaltlich weniger streiten.
Richtig: Da gäbe es viel mehr inhaltliche Übereinstimmungen. In der Migrationspolitik etwa. Aber wenn mich nicht alles täuscht, haben wir doch alle nach dem Ende der letzten GroKo im Jahr 2021 gesagt: Bitte nicht wieder. Und jetzt haben alle vergessen, dass diese Regierung jahrelang dem Stillstand gehuldigt hat, der Klimaschutz liegen geblieben ist, dass die Russland-Politik eine Katastrophe war und die Digitalisierung verschnarcht wurde. Es kann mir doch keiner sagen, dass das angesichts der immensen Aufgaben die bessere Alternative ist. Insofern stehen wir vor einem Riesenproblem.
Die Ampel wird also ihren Zank-Kurs bis zur nächsten Bundestagswahl durchziehen?
Ich fürchte ja. Aber wir müssen uns auch vor Augen führen: Die Bevölkerung streitet sich um die gleichen Themen. FDP und Grüne haben eben unterschiedliche Vorstellungen von der Rolle des Staates. Was wir im Augenblick in der Regierung erleben, ist auch ein Abbild unserer Gesellschaft. Es ist nun mal Fakt, dass wir in diesen Zeiten mit sehr vielen Interessenkonflikten zu kämpfen haben. Kein Mensch sollte sich einreden, dass das nach der nächsten Wahl anders sein wird. Interview: Kathrin Braun