Die ersten Geiseln kommen heim

von Redaktion

VON KATHRIN BRAUN

München – Für viele ist es die erste gute Nachricht seit 45 Tagen: In der Nacht zum Mittwoch verkündet Israel, dass der Deal mit der Hamas endlich steht: 50 Geiseln gegen 150 Palästinenser aus israelischen Gefängnissen, dazu eine viertägige Feuerpause – vorerst. Doch am nächsten Morgen quält die Ungewissheit. „Ich fühle mich wie gestern und vorgestern, nur schlimmer“, sagt Yael Engel Lichi. Sie ist die Tante von Ofir Engel, einem Abiturienten aus Jerusalem, der am 7. Oktober von der Hamas entführt wurde. „Wir wissen nichts. Niemand hat sich offiziell gemeldet, um uns etwas mitzuteilen“, erzählt die Israelin gestern Früh in der „New York Times“.

Niemand kann ihr zu dem Zeitpunkt sagen, ob ihr 17-jähriger Neffe unter den ersten zehn Geiseln sein wird, die den Gaza-Streifen heute verlassen dürfen. Die israelische Regierung erklärt lediglich, dass Frauen und Kinder mit israelischer Staatsbürgerschaft freigelassen werden. Mindestens die Hälfte der 50 Geiseln habe einen Doppelpass – auch die deutsche Staatsbürgerschaft sei dabei. Die Geiseln sollen schrittweise freikommen, zehn bis 13 pro Kampfpausen-Tag. Israel und die Hamas haben im ersten Schritt des Deals eine viertägige Feuerpause vereinbart. Die Regierung Israels stellt die Bedingung, für jeden zusätzlichen Tag zehn weitere Geiseln freizulassen.

Israel seinerseits wird 150 palästinensische Gefangene entlassen. Unter ihnen seien mehrheitlich Minderjährige und Frauen, heißt es. Das israelische Justizministerium hat eine Liste mit 300 Namen von Gefangenen veröffentlicht, die auf freien Fuß gesetzt werden könnten. Nur die Hälfte von ihnen ist Teil des Deals – der Rest soll für die Hamas Anreiz sein, weitere Geiseln freizulassen, berichten Medien. Bei den Verhandlungen wurde der Austausch von bis zu 100 Geiseln während einer maximal zehn Tage dauernden Waffenruhe in Aussicht gestellt. Insgesamt werden etwa 240 Geiseln von der Hamas im Gaza-Streifen festgehalten.

Auf der Liste der Gefangenen seien keine Menschen, die wegen Mordes verurteilt worden sind, heißt es von israelischer Seite. Laut der israelischen Zeitung „Haaretz“ könnten aber Menschen dabei sein, die wegen versuchten Mordes sowie Straftaten im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten im Gefängnis sitzen. Weitere Delikte seien etwa Angriffe auf Polizisten, Steinwürfe, der Einsatz von Molotowcocktails und der Besitz von Schusswaffen. Auch Vergehen wie Sachbeschädigung, Behinderung der Polizeiarbeit oder unrechtmäßige Versammlungen gehörten dazu.

Laut „Haaretz“ stehen auf der Liste 123 Namen von Minderjährigen, die jüngsten sind demnach 14 Jahre. Die meisten von ihnen seien Jungs im Teenager-Alter, 33 seien erwachsene Frauen. Viele seien in Ost-Jerusalem ansässig und hätten einen israelischen Ausweis. Eine der Gefangenen ist zum Beispiel Marah Bakeer, die im Oktober 2015 als 16-Jährige einen Grenzpolizisten erstochen hatte. Auch die 38-jährige Asra Jabas wird freigelassen, nachdem sie 2015 einen Gastank im Westjordanland in die Luft gejagt hatte.

Die Verhandlungen für den Austausch seien „extrem quälend“ gewesen, sagt ein ranghoher US-Vertreter, der lieber anonym bleiben will. Es brauchte einen geheimen Stab, drei Geheimdienste, vier Staatschefs und fünf Wochen nervenaufreibendes Ringen. „Katar bat, einen Stab einzurichten, der sehr sorgfältig und ganz geheim mit den Israelis zusammenarbeitet“, berichtet der US-Vertreter. „US-Beamte führten täglich, manchmal stündlich, Gespräche auf höchster Ebene mit Katar, Ägypten und Israel über die Geiseln.“

Hoffnung auf ein Ende des Krieges verspricht der Deal aber nicht. Während im Süden des Gaza-Streifens israelische Flugbewegungen komplett eingestellt werden, gilt die Feuerpause im Norden täglich nur für sechs Stunden. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat klargestellt, dass der Krieg auch nach dem Abkommen weitergeht, „bis wir alle unsere Ziele erreicht haben“. Dazu gehörten die Eliminierung der Hamas sowie die Rückkehr aller Geiseln. Die Hamas wiederum nutzt die heute beginnende Waffenruhe für eine Atempause – und hat nun Zeit, sich neu aufzustellen.

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