Stockholm/Helsinki – Im Norden Europas nehmen die diplomatischen Spannungen mit Russland dieser Tage spürbar zu. Am Wochenende hat die finnische Regierung vier von neun Grenzübergängen für drei Monate geschlossen, gestern Abend wurde ein ähnlicher Schritt für drei weitere angekündigt, allerdings nur bis Weihnachten. Der Kreml warf Helsinki „antirussische Politik“ vor und bestellte den finnischen Botschafter ein.
Auslöser der ernsten Verstimmungen ist nicht der russische Krieg gegen die Ukraine: Die konservativ-rechtspopulistische Regierung in Helsinki wirft dem Kreml vor, bewusst Migranten aus dem arabischen Raum über die Grenze zu schicken. Noch sind die Zahlen zwar überschaubar: Gut 300 Menschen sollen in den letzten Wochen gekommen sein. Aber die Fälle nehmen zu. Und die öffentliche Debatte ist längst aufgeheizt.
Kritiker halten die Grenzschließungen für übertrieben. Es kämen nur ein paar Dutzend Menschen am Tag, heißt es, und es herrsche ja auch tatsächlich Krieg im Nahen Osten. Die Diskriminierungs-Ombudsfrau Kristina Stenman etwa warnte vor einer unverhältnismäßigen Reaktion. Die rechtspopulistische Innenministerin Mari Rantanen ist sich jedoch sicher, dass „entschlossen gehandelt werden muss, um die hybride Operation Russlands“ zu stoppen. Auch Regierungschef Petteri Orpo sagte: „Wir wollen, dass dieses Phänomen aufhört.“
Zwei Grenzstationen waren zuletzt offiziell noch für Asylanträge offen. Dass diese weit im Norden liegen, ist kein Zufall: Die südlichen Übergänge liegen verkehrsgünstig in der Nähe der russischen Millionenstadt St. Petersburg. Zuletzt verlagerten sich die Mi-grantenankünfte deshalb in den Norden. Orpo brachte deshalb weitere Grenzschließungen ins Spiel: „Wir bereiten ausreichend starke Maßnahmen vor und sind bereit, sie schnell zu ergreifen.“ Die drei neuen Schließungen sollen am Freitag erfolgen.
Möglich ist das durch eine Gesetzesänderung, die die Regierung durchsetzte. Diese ermöglicht es, Grenzen zu schließen, wenn von einem anderen Staat eine Gefahr für die Sicherheit Finnlands ausgeht. Die Migranten, die teils auf Fahrrädern ankommen, weil man die Grenzen nur auf Fahrzeugen überqueren darf, sind nach Ansicht der Regierung genau das. Innenministerin Rantanen bezeichnete die Situation als „ernste Bedrohung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit“.
Nicht nur das junge Nato-Land Finnland beschuldigt Russland, einen „Strom von Asylbewerbern“ aus dem Nahen Osten und Afrika zu organisieren. Auch Nachbar Estland ist bereit, seine Grenzen zu schließen. Die Russen würden die Flüchtlinge sogar aktiv unterstützen, an die Grenze zu gelangen, heißt es aus Helsinki. „Es gibt eindeutige Anzeichen dafür, dass die Behörden eines fremden Staates Einfluss auf diejenigen genommen haben, die die Grenze illegal überschreiten“, sagt Rantanen. Moskau dementiert.
Helsinki hat die Befürchtung, dass die Zahl der Asylbewerber deutlich ansteigen wird. Gestern bat Finnland deshalb die EU-Grenzschutzbehörde Frontex um Hilfe. Allerdings regt sich auch Widerstand gegen die harte Linie. Hunderte finnisch-russische Familien fürchten, dass sie ihre Verwandten nicht mehr ohne Umstände besuchen können. ANDRÉ ANWAR