Der Tote und die Tonaufnahme

von Redaktion

Die Vorwürfe eines kürzlich verstorbenen Spitzenbeamten bringen Österreichs Regierungspartei ÖVP in Erklärungsnot

München – Christian Pilnacek kann man nicht mehr fragen. Der frühere Spitzenbeamte im Wiener Justizministerium starb im Oktober unter mysteriösen Umständen. Pilnacek (60) war alkoholisiert und als Geisterfahrer unterwegs, er wurde von der Polizei angehalten und Stunden nach seiner Entlassung tot in Niederösterreich aufgefunden. Das Ergebnis der Obduktion steht noch immer aus. All das böte allein schon genug Stoff für einen Politthriller.

Einen Monat nach seinem Tod redet das Land wieder über ihn. Gerade ist ein Mitschnitt eines Gesprächs aus dem Sommer aufgetaucht, in dem sich Pilnacek, der jahrelang die höchste Aufsicht über die Staatsanwaltschaften des Landes ausübte, über die in Österreich regierende ÖVP auslässt. Vertreter der Volkspartei hätten immer wieder versucht, ihn dazu zu bewegen, Einfluss auf Justizermittlungen zu nehmen und lästige Verfahren zu unterbinden. Konkret nennt Pilnacek vor allem den Namen von Wolfgang Sobotka, einem affärengestählten ÖVP-Granden. Als Nationalratspräsident ist er heute der zweithöchste Repräsentant des Landes.

Die Unruhe in der ÖVP ist groß, denn der Mitschnitt, wohl ohne Pilnaceks Wissen angefertigt, scheint alle Vorurteile über Österreichs Politik im Allgemeinen und ganz besonders die Volkspartei zu bestätigen. Typisch österreichisch ist jedenfalls, dass alles penibel dokumentiert und durchgestochen ist. In der Ibiza-Affäre war es ein Video, in der Chat-Affäre, die Sebastian Kurz zum Verhängnis wurde, ein Mobiltelefon voller entlarvender Daten.

Delikat ist auch, dass die Karriere des Spitzenbeamten Pilnacek zum Zeitpunkt der Aufnahme in Trümmern lag. Zwei Jahre zuvor war er von seinem Amt suspendiert worden – wegen des Vorwurfs des Amtsmissbrauchs. Längst befand er sich da im Streit mit der hoch angesehenen Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft des Landes (WKStA), die seit Jahren gegen prominente ÖVP-Vertreter ermittelt, nicht zuletzt gegen Ex-Kanzler Kurz.

Die Volkspartei dementiert alle Vorwürfe. Kanzler Karl Nehammer beklagt „KGB-Methoden“, Sobotka bestreitet, jemals mit Pilnacek über laufende Ermittlungen gesprochen zu haben. Das klingt auf dem Tonband anders. Dort empört sich Pilnacek, wie vehement aus der Regierungspartei Druck auf ihn ausgeübt worden sei. Seine Antwort: „Ich kann es nicht, ich mach es nicht, ich will es nicht.“ Als der parteilose Spitzenbeamte wiederum aufgrund seiner beruflichen Nöte die ÖVP um Unterstützung bat, habe man ihm entgegnet: „Du hast ja nie eine Hausdurchsuchung bei uns verhindert.“

Die Affäre erfreut vor allem die rechtspopulistische FPÖ, die selber reichlich Erfahrung mit Skandalen hat. Parteichef Herbert Kickl frohlockte kurz vor der Veröffentlichung, man werde schon bald „einiges an Erhellendem“ hören, „wenn es um die Machtpolitik der ÖVP geht“.

Im Justizministerium hat man auf die Enthüllung rasch reagiert. Die grüne Ressortchefin Alma Zadic kündigte an, eine Untersuchungskommission einzusetzen, um die „schweren Vorwürfe“ aufzuklären. Der Koalitionspartner ÖVP wird auch darüber nicht glücklich sein. MARC BEYER

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