Lebenszeichen aus der Ampel

von Redaktion

VON MARCUS MÄCKLER

Berlin/Karlsruhe – Vielleicht ist es der Mut der Verzweiflung, vielleicht muss der ganze Frust auch einfach mal raus. Donnerstagabend, Omid Nouripour steht auf der Bühne in Karlsruhe und macht sich Luft. „Kaputtsparen geht nicht“, ruft er und: „Wir werden Lösungen finden.“ Dann nimmt er sich die Union vor, die Partei, die die Ampel durch ihre Haushaltsklage zuletzt heftig ins Wanken brachte. „Das kann doch nicht sein, dass eine Opposition mehr die Niederlage der Regierung will als den Erfolg des Landes“, ruft Nouripour und wendet sich dann direkt an CDU und CSU: „Leute, ihr seid nicht einmal oppositionsfähig.“

Es ist ein kurioser Zufall, dass die Grünen ihren mehrtägigen Parteitag ausgerechnet in Karlsruhe abhalten, also dort, wo die Ampel-Regierung ihre bisher schwerste Niederlage kassierte. Das Haushaltsurteil der Karlsruher Verfassungsrichter lastet schwer auf dem Bündnis, im Etat fehlt ein Brocken von 60 Milliarden Euro. Es stellt sich akut die Frage, ob die Koalition überleben kann.

Dass Nouripour die Union so scharf angeht, hat einen Grund: CDU-Chef Friedrich Merz wittert seine Chance und lässt das Land schon mal wissen, dass die Union bereit für Neuwahlen wäre. „Wir sind in der Lage, auch aus dem Stand heraus eine Bundestagswahl zu bestreiten“, sagte er in der ARD-Sendung „Maischberger“. Bei dieser Regierung wisse man nie. „Vielleicht springt einer von denen aus lauter Angst vor dem Tod in den Selbstmord.“

So weit ist es zwar noch nicht, fest steht aber: Diese Krise hat ein anderes Kaliber als der Streit um den Tausch alter Öl- und Gasheizungen. Diesmal stehen SPD, Grünen und FDP schwere Grundsatzentscheidungen ins Haus, um aus dem Milliardenloch herauszukommen. Sparen beim Klima? Kürzen bei den Sozialausgaben? Steuern erhöhen? Die Schmerzen wären bei mindestens einem der drei Koalitionspartner groß, vielleicht zu groß.

Die Stimmung in den Parteizentralen ist entsprechend angespannt. Hinzu kommt, dass die FDP eine Mitgliederbefragung zur Zukunft der Ampel startet, die zwar nicht bindend ist, sich aber nur schwer ignorieren lässt.

Der Chef der Liberalen, Finanzminister Christian Lindner, scheint nicht an ein Ende der Ampel zu denken. Um die Vorgaben der Verfassungsrichter zu erfüllen, verkündeten er und sein Ministerium gestern, man wolle für 2023 erneut die Schuldenbremse aussetzen. So sollen nachträglich jene Milliarden-Kredite abgesichert werden, die für die Energiepreisbremsen bereits genutzt wurden. Begründen will die Ampel das mit einer außergewöhnlichen Notlage – einen Nachtragshaushalt will Lindner nächste Woche vorlegen. Er soll laut „Spiegel“ ein Volumen von 40 Milliarden Euro haben. Lindner mahnt einen strikten Sparkurs an. „Wir reden von einem erheblichen zusätzlichen Konsolidierungsbedarf“, sagte er dem „Handelsblatt“.

Sparkurs ist ein Wort, das besonders die Grünen fürchten. Beim Parteitag warnt Wirtschaftsminister Robert Habeck davor, die Modernisierung des Landes zu verschleppen. „Die anderen wickeln sich Hufeisen in die Handschuhe“, sagt er mit Blick auf das Milliardenschwere Klimaprogramm der USA, „und wir haben nicht mal die Arme frei.“ Er sei für die Schuldenbremse, sagt er dann. Aber für eine reformierte.

Habeck, der nach dem Haushaltsurteil in den vergangenen Tagen so verzweifelt wirkte, hält eine kämpferische Rede. Er weist den Vorwurf zurück, die Grünen machten eine realitätsferne Politik, und warnt vor einer neuen Große Koalition. Die CDU unter Merz nennt er eine „Partei von gestern, angeführt von einem Vorsitzenden von vorgestern“.

Es sind kleine Lebenszeichen nach Tagen der Schockstarre. Grüne und FDP scheinen die Ampel noch nicht aufgeben zu wollen. Vom Kanzler ist am Donnerstag indes wenig zu hören. Er hatte einst mit Verlässlichkeit für sich und die SPD geworben. Doch die ist in diesen stürmischen Tagen weit weg.  mit dpa

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