Den Haag – Geert Wilders, einziges Mitglied seiner „Partij voor de Vrijheid“, kann seinen Triumph nicht fassen. Als am Mittwochabend die erste TV-Prognose seinen sensationellen Wahlsieg verkündet, schlägt er die Hände vors Gesicht. „35!“, ruft er. 35 Sitze im Parlament. Am Ende sollen es sogar 37 für die Partei für die Freiheit werden.
Das Ergebnis sei „historisch“, heißt es tags darauf in den Medien. In Teilen der Gesellschaft ist der Schock groß. „Ich schäme mich zutiefst – auch ein bisschen dafür, Niederländerin zu sein“, sagt eine Bürgerin aus Enschede im Fernsehen. Muhsin Köktas, Vorsitzender eines muslimischen Verbands, sagt, Muslime hätten Angst, ihre Religion nicht mehr frei ausüben zu dürfen. Schließlich pocht Wilders seit 20 Jahren auf ein Koran-Verbot und die Schließung aller Moscheen.
Schon einmal erlebten die Niederlande einen kräftigen Rechtsruck: 2002 war das, als der Soziologie-Professor Pim Fortuyn als erster Populist durchstartete. Kurz vor seinem vorausgesagten Erdrutschsieg wurde er von einem militanten Tierschutz-Aktivisten erschossen. Seine Partei zerlegte sich danach selbst und verschwand.
Das Erbe Fortuyns trat ein Mann mit platinblonder Haartolle und dem Dialekt seiner Heimatstadt Venlo an: Geert Wilders. Um einem Chaos wie in Fortuyns Partei vorzubeugen, wandte er einen Trick an: Bis heute ist er das einzige Mitglied seiner Partei PVV. Gefolgsleute können sich nur als Sympathisanten oder Förderer anmelden. Nun ist diese Partei die große Wahlgewinnerin. Wie ist das zu erklären?
Ein Thema dominierte den Wahlkampf: Migration. Alle Parteien auf der Rechten überboten sich geradezu mit Versprechungen, die Asylzahlen zu verringern. Wilders profitierte davon wohl genauso wie von den Annäherungsversuchen der bisher größten Partei, der rechtsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD).
Der scheidende Ministerpräsident Mark Rutte hatte eine Zusammenarbeit mit Wilders stets ausgeschlossen. Seine Nachfolgerin als VVD-Chefin, Dilan Yesilgöz, änderte den Kurs. Sie erklärte gleich zu Beginn des Wahlkampfes, sie schließe Wilders als Koalitionspartner nicht aus. Der Populist hatte damit erstmals eine Chance auf Regierungsbeteiligung. So habe Yesilgöz Wilders „salonfähig“ gemacht, sagte ein Fernsehkommentator unter Verwendung des deutschen Begriffs.
Nach 13 Jahren unter dem rechtsliberalen Rutte ist Wilders für viele Wähler „neue Politik“. Denn Ruttes Langzeitregierung wird auch für die Misere im Gesundheitssystem verantwortlich gemacht, für zunehmende Armut sowie für mehrere Affären und Skandale. Aber auch andere Spitzenkandidaten müssen sich fragen, ob sie alles richtig gemacht haben. Zwar hielt Ex-EU-Kommissar Frans Timmermans vor seinem Anhang aus Grünen und Sozialdemokraten in der Wahlnacht eine emotionale Rede mit dem Aufruf, man müsse jetzt „die Demokratie verteidigen“. Allerdings musste er sich sofort fragen lassen, warum er das nicht früher getan habe.
Die große Herausforderung für Wilders ist nun, Koalitionspartner an sich zu binden. Schwierig, aber nicht unmöglich. Sowohl Yesilgöz als auch der zweite Sieger des Wahlabends, der frühere Christdemokrat Pieter Omtzigt, zeigen sich offen für Gespräche. Alle Parteien müssten jetzt „über ihren Schatten springen“, sagte Omtzigt, der erst vor drei Monaten seine Patei „Neuer Sozialer Vertrag“ gegründet hatte. Damit holte er auf Anhieb 20 der 150 Parlamentssitze. Und auch die Protestpartei Bauernbürgerbewegung BBB will gerne mit dem Rechtsaußen regieren.
So könnten die Zeiten, in denen die Niederlande auch für die Bundesregierung einer der engsten Partner innerhalb der EU waren, bald vorbei sein. Auf vielen Gebieten würden die Niederlande mit Wilders als Regierungschef künftig einen anderen Kurs fahren. Er lehnt zum Beispiel den Klimaschutz ab und will auch die Hilfe für die Ukraine drastisch zurückfahren.