Gemeinsam gegen das Milliardenloch

von Redaktion

VON MIKE SCHIER

München – Eine solche Szene wäre vor Wochen undenkbar gewesen. Im Sommer noch hatte Hubert Aiwanger getobt, die in Berlin hätten doch „den Arsch offen“. Gemeint war vor allem Robert Habeck, Vater des Heizungsgesetzes. Gestern steht der Niederbayer Aiwanger nun seinerseits in Berlin. Neben Habeck. Demonstrativ pflichtet man sich bei. „Es gibt keine Vorhaltungen, es gibt keine Belehrungen. Es gibt eine gemeinsame Suche, jetzt Wege zu finden“, sagt Habeck. Und später fügt er hinzu: „Es wäre gut, sehr gut – so wie es Herr Aiwanger gesagt hat –, wenn Deutschland an dieser Stelle zusammenrückt.“

Es muss schon einiges passiert sein, wenn Habeck und Aiwanger so demonstrativ den Schulterschluss suchen. Konkret geht es um all die Projekte, die aus dem 60 Milliarden Euro schweren „Klima- und Transformationsfonds“ finanziert werden sollen: Förderung von Chip-Fabriken und grünem Stahl, mehr Ladestationen für E-Autos, Sanierung der Bahn, der Wegfall der EEG-Umlage, die energetische Gebäudesanierung. Die Wirtschaftsminister von Bund und Ländern, für die Aiwanger derzeit spricht, sind sich einig: „Das sind keine Nice-to-have-Projekte, sondern unverzichtbare Projekte“, stellt Aiwanger fest. Habeck assistiert: Es gehe nicht nur um Wertschöpfung in Deutschland, sondern auch um geopolitische Zusammenhänge. Die Frage ist nur: Wie kann man das nach dem Urteil finanzieren?

Heute wird Olaf Scholz (SPD) dazu vor dem Bundestag eine Regierungserklärung abgeben. Zuletzt nahm das Geraune zu, weil sich der Kanzler so bedeckt hält. Aber hinter den Kulissen glühen die Drähte. Habeck hält sich gestern zu seinen Finanzierungsideen bedeckt. „Alles, was man öffentlich beredet, wird am Ende nicht kommen“, unkt er. Doch zwischen den Zeilen lässt er durchblicken, dass er auch 2024 für ein Aussetzen der Schuldenbremse wäre. Die Notlage erkläre sich durch die geopolitischen Voraussetzungen. Ähnlich argumentieren auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert und Fraktionschef Rolf Mützenich.

Von Aiwanger kommt kein Widerspruch. Wohl aber von der FDP. „Aiwanger und Habeck vereint im Kampf für den Klimafonds und gegen die Schuldenbremse – wer hätte das gedacht“, ätzt der bayerische Landeschef Martin Hagen. Sein Parteifreund Karsten Klein, Finanzpolitiker im Bundestag, sieht den Haushalt 2024 als hoch umstritten an. „Ich sehe keinen Ansatz, da aktuell eine Notlage zu erklären.“ 2023 habe eine Energiekrise gedroht, aber das sei längst vorbei.

Zunächst einmal will Finanzminister Christian Lindner einen Nachtragshaushalt für das laufende Jahr auf rechtlich sichere Füße stellen. „Ich betrachte es als meine Aufgabe, jetzt reinen Tisch zu machen“, sagt er. Gestern stimmte das Kabinett dem Nachtragshaushalt zu, am 13. Dezember soll der Bundestag folgen. Dann geht es weiter mit dem Haushalt 2024, dessen Aufstellung sich womöglich bis Januar hinziehen könnte. „Alle Energie“ werde darauf verwendet, die gemachten Zusagen 2024 zu halten, sagt Regierungssprecher Steffen Hebestreit. „Weitergehende Fragen stellen wir uns dann, wenn wir das andere erledigt haben.“

Heißt: Der Kanzler dürfte heute zu einer generellen Reform der Schuldenbremse schweigen. Die Debatte aber ist voll entbrannt. Die Grünen wollen eine grundlegende Reform, weil die Bremse „handwerklich schlecht“ gemacht sei, wie es die Fraktionsvorsitzende Katherina Dröge nennt. Sie hofft auf eine Zusammenarbeit mit der Union, wo bereits einige CDU-Länderchefs Verhandlungsbereitschaft signalisiert haben. Doch CSU-Chef Markus Söder winkt ab. „Das lehnen wir ab. Da sind sich die Spitzen von CDU und CSU einig. Das wäre ein falscher Weg.“ Auch die FDP ist dagegen.

Im Bundestag wäre für eine Reform eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Bis dahin ist es noch ein sehr weiter Weg.

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