Beeri – Gesprengte Häuser, verkohlte Hauswände, Brandgeruch – vieles mögen Frank-Walter Steinmeier und seine Delegation über den Überfall der Hamas auf Israel auf Fotos gesehen oder in Berichten gelesen haben. Es ist nichts gegen die Wirklichkeit, die sie am Montag im Kibbuz Beeri erleben. „Wir haben eine Vorstellung davon gehabt, mit welcher Brutalität die Hamas hier vorgegangen ist. Aber, hier an diesem Ort zu sein, ist etwas vollständig anderes“, sagt der Bundespräsident nach einem Gang durch den Kibbuz.
Armeesprecherin Maya Bentwich führt die Gruppe in Vivian Silvers Haus. Zwischen Schutt und Asche liegt eine verkohlte Mikrowelle. Die 74-Jährige, eine Jüdin aus Kanada, war Friedensaktivistin. „Sie glaubte an den Frieden mit den Palästinensern.“ Die Terroristen verbrannten sie, man fand nur noch ihre Zähne. „Wir brauchten über einen Monat, um die Leiche zu identifizieren.“
Steinmeier lässt später durchblicken, was ihm berichtet wurde. Er spricht davon, dass Frauen vergewaltigt, Menschen in den Schutzräumen verbrannt, Kinder enthauptet und andere Opfer entführt worden seien. „Ich muss Ihnen gestehen, bei all dem, was wir eben gehört haben, versagt auch mir die Sprache, um Ihnen zu sagen, was im Detail an diesem Ort geschehen ist.“
Deutschland will nun dazu beitragen, den Ort wiederaufzubauen. Steinmeier kündigte an, dass der Bundestag für 2024 einen Betrag von sieben Millionen Euro bereitstellen werde.
Nach den Gräueltaten der Hamas wurde auch für die in den Gazastreifen verschleppten Menschen das Schlimmste befürchtet. Doch die Geiseln sind nach Angaben ihrer Angehörigen nicht misshandelt worden. „Es ist sehr tröstlich, das zu wissen“, sagte Osnat Meiri, ein Cousin der freigelassenen Keren Munder.
Keren war mit ihrem neunjährigen Sohn Ohad und der Großmutter Ruti verschleppt worden. Am Freitag waren sie beim Austausch gegen palästinensische Häftlinge freigekommen. Man wisse natürlich nicht, ob alle Geiseln unter denselben Bedingungen festgehalten würden, fügte Meiri hinzu. Es habe Tage gegeben, an denen es nichts zu essen gab. Manchmal hätten die Verschleppten eineinhalb Stunden warten müssen, bis sie zur Toilette durften. Es habe auch keine Liegen oder Betten zum Schlafen gegeben, nur Bänke und Stühle. Die Wachen hätten einigen der Geiseln ab und zu erlaubt, israelisches Radio zu hören. So habe Ruti Munder noch in der Geiselhaft erfahren, dass ihr Sohn Roi bei dem Hamas-Massaker getötet worden war.
Gestern Abend wurde eine weitere Gruppe von Geiseln in die Obhut des Roten Kreuzes übergeben. Laut Medienberichten handelt es sich um neun Kinder und zwei Frauen. Unter ihnen seien auch zwei deutsche Teenager. Im Gegenzug sollen 33 weibliche und jugendliche palästinensische Häftlinge entlassen werden. Zuvor hatte es Unstimmigkeiten wegen der Namenslistengegeben: Israel hatte kritisiert, dass Mütter von ihren Kindern getrennt worden seien. Es war die vierte Gruppe, die seit Beginn der Feuerpause freikam. Bislang wurden 58 Geiseln gegen 117 palästinensische Häftlinge getauscht.
Israel und die Hamas hatten sich unter Vermittlung von Katar, Ägypten und den USA zunächst auf eine viertägige Feuerpause geeinigt. Katar gab gestern nur wenige Stunden vor Ablauf der Feuerpause bekannt, dass sie um zwei Tage verlängert wird.
Eine Aussicht auf Frieden gibt es derzeit aber noch nicht. Katar als Vermittler hält das israelische Ziel, die Hamas zu vernichten, für utopisch. „Man wird die Hamas nicht so einfach vernichten können. Ob wir mit ihr übereinstimmen oder nicht, sie ist Teil der Gesellschaft in Gaza und auch im Westjordanland“, sagte der katarische Ministerpräsident und Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani der „FAZ“. Er tadelte Europäer, Israel für seine Kriegsführung in Gaza nicht stark genug zu kritisieren – und appellierte an die Staaten in der Region, eine Lösung für den Konflikt voranzubringen.