Berlin/München – Der Kanzler reagiert nicht. Nicht auf Beschimpfungen, nicht auf Lob, nicht auf das Angebot einer Zusammenarbeit. In völligem Gleichmut sitzt Olaf Scholz an seinem Platz, nippt ab und zu am Wasserglas. Seine Emotionen, wenn es denn welche gibt, hat der SPD-Politiker perfekt im Griff. Das ist nicht selbstverständlich in diesen Stunden im Bundestag.
Scholz muss sich Härteres anhören als sonst, vor allem vom Oppositionsführer. „Sie können es nicht“, ruft ihm Friedrich Merz vom Rednerpult aus zu. „Die Schuhe, in denen Sie stehen als Bundeskanzler, sind Ihnen mindestens zwei Schuhnummern zu groß.“ Diese Regierung sei „einfach nur peinlich“. Eine besondere Beleidigung hat Merz sich zurechtgelegt: Olaf Scholz sei nur noch ein „Klempner der Macht“.
Ein Kanzler als Klempner – eigentlich gar kein so schiefes Bild und keine üble Nachrede in Zeiten, in denen es im Land und in der Regierung aus allen Rohren tropft. Einer, der repariert, montiert, neu konstruiert – genau das wäre es doch, was hilft, wenn in allen Ecken der Welt Krisen und Kriege wüten und gleichzeitig zu Hause der Haushalt auseinandergeflogen ist. Doch zumindest in dieser Sitzung wird nicht mit der Reparatur begonnen. Im Gegenteil.
Es beginnt mit Scholz’ lang erwarteter Regierungserklärung. Erstmals soll er dem Parlament darlegen, wie die Koalition mit dem Haushaltsloch aus dem Verfassungsgerichtsurteil umgehen will. Die Richter hatten am 15. November die Umwidmung von 60 Milliarden Euro im Haushalt 2021 in den Klima- und Transformationsfonds für nichtig erklärt. Das Geld, als Corona-Kredit bewilligt, sollte nachträglich in Projekte für den Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft umgeleitet werden.
Und nun? Neue Schulden? Auf Dauer Notlagen? Drastische Einsparungen? Eine gemeinsame Kommission zur Reform der Schuldenbremse? In all diesen Punkten bleibt Scholz vage. Was er vom Blatt weg abliest, gut 20 Minuten kurz, ist eine Rechtfertigung: Mehrausgaben infolge von Corona-Krise, Krieg in der Ukraine, Sprengung der Gas-Pipelines, Hochwasser. „Nötig und richtig“ seien die Mehrausgaben gewesen, sagt er immer wieder.
Für die Bürger hat er nur eine Kernbotschaft: „In Ihrem Alltag ändert sich nichts“, egal ob man Kindergeld, Bafög, Rente oder Wohngeld beziehe. „Wir lassen niemanden alleine“, sagt er auf Deutsch und mehrfach auf Englisch („You’ll never walk alone“). Scholz bemüht über mehrere Seiten seines abgelesenen Manuskripts hinweg Formeln aus seinem Wahlkampf: „Haken uns unter“, „Seite an Seite“, „niemanden zurücklassen“.
Im Bundestag macht sich da Hohngelächter breit, immer lauter, als vor allem die Union realisiert: Von Scholz kommt kein konkreter Satz zum Haushalt. Indirekt ist aus seinen Worten abzuleiten, dass er keinesfalls an Investitionen sparen will. „Ich will, dass Deutschland ganz vorne dabei ist“, sagte der Kanzler. „Denn es geht für uns alle um viel.“
Für einen Umbau der Schuldengrenze im Grundgesetz bräuchte die Ampel die Stimmen der Union. Weder Scholz noch Merz gehen im Rededuell aufeinander zu. Der Oppositionsführer sagt zwar, nachdem er Scholz ausgiebig persönlich attackiert hat, man könne „über fast alles reden“ miteinander. Er stellt aber auch klar: Fallen wird die Schuldenbremse nie. Sogar den eigenen Länder-Regierungschefs der Union, die an der Schuldenbremse rütteln, haut Merz verbal den Ellbogen rein. „Entscheidungen werden hier im Bundestag getroffen, nicht im Rathaus von Berlin.“
Andere SPD-Redner sind es dann, die raten, die „wahllos gegriffene Größe“ der Schuldenbremse „nicht als Monstranz“ zu feiern. Die FDP erinnert an 15 Sondervermögen unter der Merkel-Zeit, die AfD fordert Scholz’ Rücktritt. Die Grünen werfen der Union vor, mit Sparvorschlägen beim Bürgergeld und der Kindergrundsicherung zu „zündeln“. Die Linke konstatiert der Republik „ein Fachkräfteproblem, mindestens bei Finanzministern“.
Scholz versucht, die Bürger zu beruhigen