München – Christian Lindner fasst sich kurz, denn er hat gar nicht so viel zu sagen. Die Botschaft seiner Rede am Freitagmorgen im Bundestag: Das mit dem Haushalt hätte man rückblickend besser machen müssen, aber die Ampel werde Lösungen finden. Und: Neue Schulden kommen ihm nicht in die Tüte.
Was aus dem Mund des Finanzministers unumstößlich klingt, ist in Wahrheit Streitgegenstand der Ampelparteien. Gut zwei Wochen nach dem Haushaltsurteil des Verfassungsgerichts haben SPD, Grüne und FDP noch immer keine gemeinsame Vorstellung davon, wie sie die fehlenden Milliarden für 2024 auftreiben sollen. SPD und Grüne wollen die Schuldenbremse aussetzen, die Liberalen meinen, das vorhandene Geld müsse reichen. „Wir haben Rekordsteuereinnahmen“, sagt FDP-Haushälter Karsten Klein. „Der Bundeshaushalt ist nicht plötzlich verarmt.“
Die Zeit drängt: Nächste Woche sollen die Ampelspitzem Leitentscheidungen treffen. Lindner sagt am Freitag, er wolle „auf der Ausgabenseite umschichten“. Dass Einsparungen Teil der Antwort sein müssen, befand selbst Kanzler Olaf Scholz (SPD) in seiner insgesamt inhaltsarmen Rede am Dienstag. Heißt: Auf allen Seiten stehen Herzensprojekte auf dem Spiel.
Für die SPD ist das neben dem Bürgergeld etwa die Rente mit 63. Die Grünen müssen um Förderungen beim Klimaschutz kämpfen. In der FDP ärgert man sich, weil sich manche Ministerien weigern, die Wirksamkeit einzelner Projekte bei der CO2-Reduktion offenzulegen. Aber auch die Liberalen dürften Kröten schlucken müssen. Denkbar: eine Kerosinsteuer auf Inlandsflüge und ein Ende des Dieselprivilegs für Pkw.
Intern mögen in den Fraktionen längst Verzichtsdebatten laufen, nach außen aber versuchen die Koalitionäre, Einsparmöglichkeiten vor allem bei Projekten des jeweils anderen zu suchen. Die FDP etwa dringt, wie die Union, darauf, sich das Bürgergeld vorzunehmen. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte dem „Kölner Stadtanzeiger“, es brauche eine Neubewertung, die anstehende Steigerung (61 Euro für Alleinstehende) sei zu hoch. SPD und Grüne konterten gleich. Die Steigerung sei mit der FDP beschlossen worden, heißt es. Sie sei gut beraten, nicht ständig ihre eigene Politik infrage zu stellen. Ob Kürzungen realistisch sind, ist fraglich. Eher geht es darum, Arbeitsanreize für Bürgergeldempfänger zu steigern und Sanktionen wieder einzuführen. Effekt: weniger Sozialausgaben, höhere Steuereinnahmen.
Auch über die Kindergrundsicherung von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) will die FDP reden. Selbst bei den Sozialdemokraten fremdeln manche mit dem bürokratischen Apparat, der neu entstehen und 400 bis 500 Millionen Euro kosten würde.
Das Einsparpotenzial ist aber überschaubar gemessen an dem, was der Bund benötigt. Lindner zufolge fehlen 17 Milliarden Euro im kommenden Jahr. Die Grünen, die an ihren Klimamaßnahmen keinesfalls rütteln wollen, verweisen deshalb regelmäßig auf klimaschädliche Subventionen, die abgeschafft gehörten. Das Umweltbundesamt spricht von 65 Milliarden Euro, die eingespart werden könnten, wenn etwa das Dieselprivileg wegfiele oder eine Steuer auf Kerosin eingeführt würde. Ein Teil der Zahlen ist aber mit Vorsicht zu genießen. Demnach entgehen dem Staat durch die fehlende Kerosinsteuer 8,4 Milliarden Euro jährlich. Dass die Airlines einfach im Ausland auftanken und eine neue Steuer so umgehen könnten, wird etwa nicht berücksichtigt. Zumal die FDP sich bei vielem querstellen dürfte.
Und die SPD? Will sich einer Diskussion über sinnvolle Einsparungen nicht verschließen, sagte Generalsekretär Kevin Kühnert den Funke-Zeitungen. Sein Vorschlag: Die Förderung für den Heizungstausch für Reiche streichen. „Wer so viel verdient, dass er Reichensteuer zahlt, der braucht keine staatliche Hilfe.“ Überhaupt müsse man Förderprogramme daraufhin prüfen, „ob sie unserem Solidarprinzip entsprechen“.
Aus Sicht von SPD und Grünen führt am erneuten Aussetzen der Schuldenbremse kaum ein Weg vorbei. Dazu müsste erneut eine Notlage festgestellt werden, möglichst vor Weihnachten. Die FDP lehnt das ab und will sich indes bei den Haushaltsberatungen Zeit lassen, womöglich nicht ganz ohne Hintergedanken. Fiele der Beschluss über den Haushalt erst Anfang 2024, würde eine vorläufige Haushaltsführung gelten. Ausgaben, die über das unbedingt Nötige hinausgehen, wären dann stets vom Finanzminister abhängig.