Berlin – Alle warten auf Rauch aus dem Kanzleramt. Seit Tagen ringen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) hinter verschlossenen Türen um Wege aus dem Milliardenloch im Bundeshaushalt. „Sehr konstruktiv, mit dem Willen und der Absicht, sich zügig und schnell zu verständigen“, sagt Scholz. Die Stimmung sei „adventlich“, beschreibt es Lindner. Doch besinnlich ist im Berliner Politikbetrieb gerade den wenigsten zumute. Es ist eine Nervenprobe, denn das Karlsruher Haushaltsurteil stellt das Fundament infrage, auf dem die Ampel-Koalition steht.
Scholz war am Wochenende deshalb früher von der Weltklimakonferenz abgereist. Jetzt trifft es auch Habeck: Reise nach Dubai abgesagt. Wenn ein Klimaminister nicht zum Klimagipfel fährt, muss die Lage ernst sein. Doch auch im Kanzleramt kämpft Habeck unter anderem um Investitionen in den Klimaschutz. Denn die Umwidmung von 60 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationsfonds sind für nichtig erklärt worden. Lindner beziffert das Loch im Haushalt für das kommende Jahr auf 17 Milliarden Euro.
Die Grundeinigung, die die Ampel-Koalition jetzt fassen muss, lautet Sparen oder Einnahmen schaffen. Lindner besteht auf die Spar-Variante. So könnte die Bürgergeld-Erhöhung jetzt auf der Kippe stehen. Um rund 12 Prozent sollte die Leistung 2024 steigen – vor allem wegen der Inflation. Die FDP hält eine Neubewertung für dringend nötig, weil die Inflation sinkt. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will daran aber festhalten und nannte es „moralisch unverantwortlich und mit der Verfassung nicht vereinbar“, den Betroffenen die Anpassung zu verwehren.
Laut Lindner setze der Bund 45 Prozent seiner Ausgaben für Soziales ein. Auch an die Industrie würden hohe Subventionen gezahlt. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) plädierte für eine Überarbeitung des Heizungsgesetzes. Es gebe viele Menschen, die „wohlhabend genug sind und keine staatliche Förderung ihrer neuen Heizung benötigen“, sagte er der „Welt“.
Egal wie ein Kompromiss aussieht, voraussichtlich muss mindestens einer der Ampel-Partner an ein Kernthema ran. Doch die Chefverhandler stehen nicht nur inhaltlich unter Druck. Mit jedem Tag ohne Einigung wird eine ordnungsgemäße Verabschiedung des Etats für das kommende Jahr unwahrscheinlicher. Soll ein Beschluss noch vor Silvester klappen, muss schnell eine politische Grundsatzentscheidung her. Idealerweise vor der Kabinettssitzung morgen, damit genug Zeit für das parlamentarische Verfahren bleibt. Möglich ist auch, dass es vor Weihnachten zwar eine grundsätzliche Verständigung gibt, der Haushalt aber erst Anfang 2024 vom Parlament verabschiedet wird.
Und schon für den laufenden Etat droht neuer Ärger. Der Bundesrechnungshof hat laut mehreren Medienberichten gewarnt, der nachgebesserte Etat für 2023 sei auch noch „verfassungsrechtlich äußerst problematisch“. Die Schuldenbremse sei fragwürdig und klar gegen die Vorgaben des Verfassungsgerichts berechnet, vermuten die Prüfer. THERESA MÜNCH