Berlin – Für die Linke gab es am Nikolaustag keine Geschenke. Seit 6. Dezember, 0 Uhr, gilt sie nach dem Austritt des Wagenknecht-Lagers offiziell nicht mehr als Fraktion. Es ist der vorläufige Tiefpunkt eines jahrelangen Streits zweier Parteiströmungen, die nun beide als sogenannte Gruppe weitermachen wollen.
Als „Gruppe“ versteht man einen Zusammenschluss von Abgeordneten im Bundestag mit deutlich weniger Rechten als eine Fraktion. Darüber, ob die Linke den Gruppenstatus bekommt, entscheidet der Bundestag. Das ist bislang aber nicht der Fall. Hintergrund ist ein noch ausstehendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Am 19. Dezember entscheidet sich, in welchem Ausmaß die Bundestagswahl 2021 in Berlin wiederholt werden muss.
Da schlummert der nächste große Ärger für die Partei. Der Bundestag hatte bereits eine Wahlwiederholung in bestimmten Bezirken veranlasst, doch die Union klagte dagegen. Sie will, dass die Wahl in allen Bezirken wiederholt wird. Für die Linke ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts elementar. Denn 2021 verpasste die Partei mit 4,9 Prozent eigentlich die erforderliche Fünf-Prozent-Hürde. Nur aufgrund drei gewonnener Direktmandate und der dann greifenden Grundmandatsklausel durfte sie überhaupt in den Bundestag einziehen.
Neben Sören Pellmann (Leipzig) gewannen ihren Wahlkreis auch zwei Abgeordnete in Berlin: Gesine Lötzsch in Lichtenberg und Gregor Gysi in Treptow-Köpenick. Auf ihren Schultern lastet bei einer Neuwahl die Zukunft der Partei. Erreicht die Partei weniger als drei Direktmandate und wird die Fünf-Prozent-Hürde nicht überschritten, ist sie raus aus dem Bundestag. Mehrere Abgeordnete sprechen vom „Worst-Case-Szenario“.
Bei einer drohenden Neuwahl gilt nur Gysis erneuter Sieg als gesichert. Der langjährige Fraktionschef holte 35,4 Prozent der Erststimmen, 20 Punkte vor der SPD-Politikerin Ana-Maria Trasnea. Bei Lötzsch ist es enger. Sie gewann zwar mit 25,8 Prozent, liegt aber weniger komfortabel vor Anja Ingenbleek (SPD; 19,6). Angesichts der aktuellen Umfragewerte der Linken könnte es knapp werden. Theoretisch könnte die Linke zwar auch zusätzliche Direktmandate gewinnen. Infrage kommt hier aber nur Petra Pau. Sie war 2021 in Marzahn-Hellersdorf mit 21,9 Prozent Zweite hinter CDU-Politiker Mario Czaja (29,4).
Von Fraktionsmitgliedern heißt es, man vertraue Lötzsch und Gysi grundsätzlich und gehe davon aus, dass beide erneut ihr Direktmandat holen. Auf das Restrisiko hat man in der Partei aber wenig Lust. Vor allem, weil man sich den dann schwierigen Wahlkampf unter allen Umständen ersparen möchte. Die zersplitterte Linke müsste gemeinsam mit dem neu gegründeten „Bündnis Sahra Wagenknecht“ um Stimmen werben. Wagenknecht und die neun Abgeordneten, die ihr folgen, haben es ausschließlich dem Trio Pellmann-Lötzsch-Gysi zu verdanken, im Bundestag zu sitzen. Keiner der drei gilt übrigens als Unterstützer Wagenknechts. ANDREAS SCHMID