Fragezeichen ums Gender-Verbot

von Redaktion

VON B. STUHLWEISSENBURG, C. OTTILLINGER UND M. HADEM

München – Im Netz fiel einigen ein Tweet ein, den Markus Söder im September vergangenen Jahres abgesetzt hatte. „Wir stehen für Freiheit und die bayerische #LiberalitasBavariae“, twitterte der Ministerpräsident damals. „Jeder soll sich anziehen, essen und reden, wie er will. Wir wollen Polizisten auf der Straße, aber keine Sprachpolizei im Bierzelt!“

Die Bierzelte hat Söder seit der Wahl am 8. Oktober hinter sich gelassen. Umso mehr überraschte er am Dienstag in seiner Regierungserklärung damit, die Sprachpolizei nun seinerseits zu aktivieren: Künftig solle das Gendern in Schulen und in der Verwaltung verboten werden. Damit folge der Freistaat etwa Sachsen und Sachsen-Anhalt, wo Sonderzeichen für eine geschlechtsneutrale Sprache abgelehnt würden.

Überrascht wurde davon sogar die neue Kultusministerin Anna Stolz (FW). Und nicht zuletzt viele Kommunen, die teilweise ganz andere Erfahrungen gemacht haben als Söder bei seinen Bierzeltreden. „Gendern ist ein Unaufreger-Thema“, findet zum Beispiel Bad Wiessees Bürgermeister Robert Kühn (SPD). „Herr Söder verkennt offenbar die Realität. Wenn ich mit Schülern spreche, gendern die ganz automatisch.“ In vielen Gemeinden sei das Gendern inzwischen selbstverständlich.

Beispielsweise in Ismaning (Landkreis München). Schon vor Jahren habe man sich dazu entschieden, berichtet Pressesprecherin Christa Scharl. „Wir haben uns damals überlegt, wie wollen wir mit der Sprache umgehen und uns für das Gendern entschieden.“ Beschwerden habe es bisher keine gegeben. Ähnlich ist es in Höhenkirchen-Siegertsbrunn: „Wir wollen alle Personengruppen abbilden“, sagt Geschäftsleitung Nina Schierlinger. Allerdings regt sich hier zuweilen auch Kritik. „Es gibt nicht nur Freunde des Genderns.“

Auch in der Schulfamilie wird nun diskutiert werden, wie das umzusetzen ist. Stolz versucht zu beschwichtigen: „Wir wollen und werden gute und verlässliche Regelungen für alle Beteiligten finden.“ Heute trifft sie sich mit Söder, beide besuchen eine Mittelschule in München. Der Philologenverband setze sich dafür ein, dass in bayerischen Schulen sorgfältig mit der deutschen Sprache umgegangen werde, sagt der Vorsitzende Michael Schwägerl. „Das bedeutet, dass man offen für neue Formen ist, die zum Beispiel Frauen und Männer gleich behandeln, aber diese nicht vorschnell einführt, bevor sich die Sprechergemeinschaft dahinter stellt und ein klares Regelwerk entstanden ist.“

Wegen der wachsenden Zahl an Schülern mit Migrationshintergrund sei für den Spracherwerb eine klare Orientierung notwendig. „Wer noch mit den drei grammatischen Geschlechtern und den richtigen Artikeln der deutschen Sprache kämpft, braucht keine zusätzlichen Schwierigkeiten.“

Bayern sei immer gut damit gefahren, so macht Schwägerl deutlich, den Regeln des Rats für deutsche Rechtschreibung zu folgen. So sieht es auch der Elternverband: „Was Deutsch ist, wird vom Rat für deutsche Rechtschreibung definiert“, sagt der Landesvorsitzende Martin Löwe. Der Rat habe unlängst klargestellt, dass die Aufnahme von Asterisk (Gender-Stern), Unterstrich (Gender-Gap), Doppelpunkt oder anderen verkürzten Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen im Wortinnern in das Amtliche Regelwerk nicht beabsichtigt sei. Söder „verrät uns nicht, welche Sanktionen von ihm bei Zuwiderhandlung intendiert sind. Ein Verbot ohne Sanktionen hat allenfalls symbolischen Charakter.“

Der Berliner Staatsrechtler Ulrich Battis erläuterte im BR-Interview, Söder könne über das Ministerium den Lehrern durchaus die Anweisung geben, „dass im Unterricht und insbesondere bei Klassenarbeiten das Gendern nicht erlaubt ist“. Lehrer seien Staatsbedienstete. Allerdings könne eine solche Anweisung nur für den Schulbetrieb gelten, nicht dafür, „wie sie zu Hause reden“. Und wie die Schüler sprechen und schreiben, könne der Staat nicht vorschreiben.

„Schüler gendern ganz automatisch“

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