Berlin – Der Neustart passiert an einem Samstag: Am 27. Januar 2024 will sich das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zum ersten Parteitag in Berlin treffen. Die neue Partei der Ex-Linken-Politikerin Wagenknecht hat Großes vor, will zur Europawahl im Juni und zu den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg antreten.
Es gibt einen ersten Indikator dafür, dass das zumindest nicht größenwahnsinnig ist: Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa würden 14 Prozent der Deutschen der BSW ihre Stimmen geben, wenn jetzt Bundestagswahl wäre. Der große Trick: Wagenknecht stoße mit ihrer Partei in eine Lücke, die vor allem linke Parteien seit Jahrzehnten immer weiter öffneten, sagt der Politikwissenschaftler und Autor Ralph Ghadban. „Es gibt kein echtes Links mehr. Die Neue Linke kümmert sich ums Gendern und Klima, das sind Themen, die der Arbeiterklasse egal sind.“
Ghadban sagt, er selbst sei ein „alter 68er“. „Die Linken standen früher für soziale Themen, für Umverteilung von Vermögen.“ Parteien wie die SPD und die Grünen hätten das völlig aus dem Fokus verloren, die großen Volksparteien seien im Grunde ein Einheitsbrei. „Sahra Wagenknecht verkörpert mit ihrer BSW genau das Problem. Viele aus der Arbeiterklasse sind zur AfD abgewandert, die will sie jetzt für sich gewinnen“, so der Politik-Experte.
Tatsächlich versteht sich das Bündnis so wie die AfD als Alternative zum Status quo. „Wir stehen für eine Rückkehr der Vernunft in die Politik“, heißt es auf der noch spärlich befüllten Webseite der zu gründenden Partei. „Viele Menschen in unserem Land haben das Vertrauen in die Politik verloren und fühlen sich durch keine der vorhandenen Parteien mehr vertreten.“ Das Bündnis wolle eine Partei sein, „die den Menschen eine Stimme gibt, die sich zu Recht von den vorhandenen Parteien nicht mehr wirklich vertreten fühlen.“
Wagenknecht, Gesicht und Namensgeberin der Neu-Partei, spricht sich in Talkshow-Auftritten immer wieder gegen das Gendern und sogenannte Wokeness aus – aber für eine restriktive Migrationspolitik. Die Zuwanderung überfordere das Land, sagte sie jüngst beim ZDF-Talk von Markus Lanz und stellte die Idee in den Raum, dass Migranten ohne Asylanspruch keine Sozialleistungen mehr beantragen dürfen sollten. „Damit spricht sie Menschen an, die sich eine Alternative wünschen, aber eigentlich lieber nicht die AfD wählen wollen“, sagt Ralph Ghadban.
Auffällig ist unterdessen Wagenknechts immer wieder an prominenter Stelle vorgetragene Position zum Krieg in Israel. Der israelischen Regierung warf sie bei einer Friedensdemo in Berlin Ende November eine „rücksichtslose Kriegsführung“ vor, die hierzulande als Selbstverteidigung schöngeredet werde.
Tatsächlich beobachten Experten im linken Milieu eine tendenziell anti-israelische Haltung. Das korrespondiere mit einer oft unkritischen Hinwendung zu konservativen Islamisten, selbst bei linksliberalen Parteien, die über viele Jahre Institutionen wie Ditib hofiert hätten, sagt Ghadban. Das habe auch strategische Gründe: „Die Linke sieht Islamisten als Verbündete. Man setzt auf diese Klientel, auch aus strategischen Gründen, denn das sind potenzielle Wähler. Die wählen sicher nicht CDU.“
PETER SIEBEN