Kopenhagen – Wer in Dänemark Asyl beantragen will, sollte gut zu Fuß sein. Das einzige Aufnahmezentrum für Flüchtlinge liegt etwa 25 Kilometer außerhalb von Kopenhagen auf einem Truppenübungsgelände in Sandholm. Der Bus von der ehemaligen Kaserne zur nächsten S-Bahn-Station fährt tagsüber alle 30 bis 45 Minuten. In der Zeit kann man die knapp vier Kilometer auch laufen. Zum Abschiebezentrum Sjælsmark, das vom Strafvollzug betrieben wird, ist es nur halb so weit. Und die Abschiebeanstalt Ellebæk liegt sogar nur ein paar Schritte vom Aufnahmezentrum entfernt.
Für Michala Clante Bendixen von „Refugees Welcome“ Dänemark ist die Lage der drei Standorte ein Sinnbild der dänischen Flüchtlingspolitik. Anders als in Deutschland herrscht hier ein weitreichender politischer Konsens, möglichst wenig Asylbewerber ins Land zu lassen. 2019 beschloss das Parlament mit einer Mehrheit von Rechtspopulisten, bürgerlichen Parteien und Sozialdemokraten einen Paradigmenwechsel, nach dem Aufenthaltsgenehmigungen für Flüchtlinge grundsätzlich befristet sind und nach Möglichkeit nicht verlängert werden sollen. Leistungen für Asylbewerber wurden gekürzt, Aufenthalts- und Meldepflichten verschärft, die Rückführung erleichtert.
Zusätzlich schaltete die Regierung im Nahen Osten Anzeigen, in denen sie Flüchtlinge vor Dänemark warnte, und boxte ein Schmuckgesetz durch, nach dem die Polizei Asylbewerbern Wertgegenstände abnehmen darf, um damit deren Aufenthalt in Dänemark zu finanzieren. Ein Ghettogesetz verdoppelt unter anderem das Strafmaß für Menschen, die in bestimmten Wohngebieten leben. Das soll gegen Parallelgesellschaften helfen.
Treibende Kraft hinter diesem Vorgehen war nicht allein die rechtspopulistische Dänische Volkspartei, die bei den Wahlen nach dem Paradigmenwechsel abstürzte, sondern auch die damalige Ausländer- und Integrationsministerin Inger Støjberg von der rechtsliberalen Partei Venstre. Die 50. Verschärfung der Ausländerregeln bejubelte sie 2017 mit einer Jubiläumstorte und den Worten: „Das muss gefeiert werden.“
Nach Angaben des Ausländer- und Integrationsministeriums haben im vergangenen Jahr 4597 Menschen Asyl in Dänemark beantragt, in Deutschland waren es mehr als 244 000. Wer sich in Dänemark als Asylbewerber registrieren lässt, landet in der Regel erst einmal in Sandholm und wird befragt. Danach sortiert die Einwanderungsbehörde die Menschen aus, die in Staaten des Dublin-Abkommens registriert sind, das europäische Asylverfahren regelt. Für diese Flüchtlinge fühlt sich Dänemark nicht zuständig. Die Übrigen werden in drei Gruppen geteilt: Bewerber, die offensichtlich abgelehnt werden können, Antragsteller, die genauer geprüft werden müssen, und Menschen mit einleuchtenden Asylgründen.
Als Vorbild für andere EU-Staaten taugt Dänemark jedoch rechtlich nicht. Anfang der 90er hatte die damalige Regierung Sonderregeln ausgehandelt, nach denen Dänemark Richtlinien für Grenzkontrollen, Asyl, Einwanderung und Visa erlassen darf, die von den EU-Verträgen abweichen. Andere EU-Staaten können das nicht. Dennoch kann das Land längst nicht alle Ausreisepflichtigen abschieben. Die Regierung in Syrien etwa kooperiere nicht, sagt Bendixen. Auch in den Sudan, den Iran, nach Gaza und Myanmar werde praktisch nicht abgeschoben. Also blieben die Menschen in Ellebæk und anderen Zentren, machten andere Asylgründe geltend oder würden nach 18 Monaten unter bestimmten Umständen sogar geduldet.
Darauf lassen es viele aber lieber nicht ankommen. Refugees Welcome zufolge verdrücken sich die meisten Ausreisepflichtigen, bevor sie in Ellebæk landen. 2022 habe es in Dänemark 548 Ausreisepflichtige gegeben. Davon seien 222 abgeschoben worden. Die meisten der gut 300 anderen verschwänden irgendwann aus dem System, tauchten unter oder versuchten es in Deutschland.