München – Trocken liest der Mann auf der Tribüne Zahlen und Buchstaben vor. FCCC/PA/CMA/2023/L.17. Ein Hammerschlag. Beschlossen. Erst ist der Applaus noch zögerlich, dann wird er immer lauter. Menschen stehen auf. Ein paar liegen sich plötzlich sogar in den Armen. Dass diese Buchstaben- und Zahlenabfolge eine solche Freudenwelle durch den Saal trägt, scheint für Sultan Ahmed al-Dschaber fast überraschend. Der Druck war hoch, die Erleichterung umso größer.
Nach zwei Wochen konnten sich die knapp 200 Länder auf der 28. UN-Klimakonferenz in Dubai einigen – irgendwie. Ganz so harmonisch, wie es die Abschlussbilder verheißen lassen, lief es dann doch nicht. Der erste gemeinsame Entwurf erntete so viel Kritik, dass das UN-Treffen kurzerhand um 24 Stunden verlängert wurde. Der Vorwurf: Ein Ausstieg aus den Energieträgern Kohle, Öl und Gas wurde nicht mehr erwähnt, obwohl ihn über 100 Staaten gefordert hatten. Sprich: über die Hälfte der teilnehmenden Länder.
Also wurden noch einmal die Köpfe zusammengesteckt, ein Kompromiss gestrickt. Es ist ein kleiner Absatz auf der fünften Seite des 21-seitigen Beschlusses, genau genommen der Paragraf 28 d), der ebenso gefeiert wie kritisiert wird. Darin bekennen sich alle Staaten zu einem „Übergang weg von fossilen Energieträgern in den Energiesystemen“. Also eine schrittweise Abkehr von Kohle, Öl und Gas.
In der deutschen Bundesregierung ist man zufrieden. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) prophezeit sogar, der Beschluss „wird die Welt verändern“. Baerbocks Parteikollegen reagierten dagegen etwas verhaltener. Für den Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck ist „der Weg in eine klimagerechte Zukunft endlich geebnet“ und Umweltministerin Steffi Lemke spricht von einem „guten Kompromiss“.
Eigentlich hatten Deutschland und die über 100 anderen Länder auf einen klareren Ausstieg aus den fossilen Energien gepocht. Deswegen sollte nach dem Willen jener Staaten das Wort „phase out“, also ein „Auslaufen“, in diesem Zusammenhang verwendet werden. Etwa wie ein altgedientes Modell, das mit fortgeschrittener Zeit ausläuft. Geblieben ist man aber bei einem „Übergang“ – auf Druck teilnehmender Öl-Staaten. Nimmt man es wörtlich, hat ein Übergang weniger ein radikales Ende in Sicht als ein Auslaufen. Dazu passt der kleine Verweis auf Übergangskraftstoffe wie Erdgas, mit dem Energiesicherheit gewährleistet werden soll. Umweltorganisationen sehen darin eine Hintertür, die sich Öl-Profiteure offenlassen.
Und was bedeuten die Beschlüsse nun für Deutschland? „Deutschlands Klimaziele gehen genau wie die der EU weit darüber hinaus“, sagt Claudia Kemfert, Energieexpertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), gegenüber unserer Zeitung. Laut Annette Menzel, Professorin für Ökoklimatologie an der Technischen Universität München, gelte Deutschland mit seinen Klimahilfen, Zahlungen, Partnerschaften und dem Klimaklub international als Klimavorreiter. „Aber die Energiewende im Land ist nicht schnell genug, um die Emissionen bis 2030 genug zu senken.“
Auch Kemfert mahnt: „Es muss beim Ausbau Erneuerbarer Energien, beim Energiesparen von Gebäuden, bei der Verkehrswende und klimaneutraler Industrie deutlich mehr passieren.“
Der Kampf gegen die Erderwärmung beschäftigt die Weltgemeinschaft nun schon seit mehr als 30 Jahren. Die Klimakonferenz, die noch bis heute nachhallt, fand 2015 in Paris statt. Dort wurde das 1,5-Grad-Ziel festgeschrieben. Heißt: Die globale Erderwärmung muss im Vergleich zur vorindustriellen Zeit deutlich unter zwei Grad, am besten bei 1,5 Grad liegen. Dieser Beschluss gilt seither als Grundstein für Klima-Studien und Klima-Anstrengungen. Diesmal ist es den teilnehmenden Staaten erstmals gelungen, fossile Brennstoffe als Haupttreiber der Krise zu erwähnen – Dubai 2023.