Brüssel/Budapest – Beim EU-Gipfel in Brüssel hat der ungarische Regierungschef Viktor Orbán nach einem überraschenden Einlenken für EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine doch noch für einen Eklat gesorgt. Wegen eines Vetos Ungarns konnten die anderen Staats- und Regierungschefs am Freitag eine Überarbeitung des EU-Haushalts inklusive eines 50 Milliarden Euro schweren Finanzhilfe-Pakets für die Ukraine nicht beschließen. Die Verhandlungen müssen nächstes Jahr bei einem Sondergipfel fortgesetzt werden.
Ob es dabei eine Einigung geben wird, ist völlig unklar, da Orbán seine Zustimmung zur notwendigen Überarbeitung des EU-Haushalts mit der Auszahlung von eingefrorenen EU-Geldern für sein Land verknüpft. „Die Tatsache, dass sie das Siebenjahreshaushaltsgesetz der Union ändern wollen, ist eine ausgezeichnete Chance für Ungarn, den Rest der zurückgehaltenen Mittel zu erhalten“, sagte er am Freitag in einem Interview. „Wir müssen nicht die Hälfte, nicht ein Viertel, sondern alles bekommen“, erklärte Orbán. „Dieses Geld steht uns zu.“
Orbán bezog sich darauf, dass die EU 2022 entschieden hatte, für Ungarn eingeplante Gelder aus dem EU-Haushalt wegen Rechtsstaatsbedenken vorerst nicht auszuzahlen. Nach Justizreformen wurden am Mittwoch zwar rund zehn Milliarden Euro freigegeben. Weitere 21 Milliarden Euro sollen allerdings erst dann fließen, wenn Ungarn weitere Bedenken ausgeräumt hat.
Orbán kritisiert dieses Vorgehen seit Monaten als ungerechtfertigt. Eines seiner Argumente ist, dass das Nicht-EU-Land Ukraine Finanzhilfen in Milliardenhöhe erhält, obwohl es auch dort Kritik an der Rechtsstaatlichkeit gibt.
Die jüngsten Pläne sehen vor, für die Ukraine in den nächsten vier Jahren 17 Milliarden Euro an Zuschüssen und 33 Milliarden Euro an Krediten einzuplanen. Das Geld soll über eine Überarbeitung des langfristigen EU-Haushalts mobilisiert werden. Weiteres Geld ist auch für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und die EU-Migrationspolitik vorgesehen.
Wenn Orbán Anfang 2024 nicht umgestimmt werden kann, müssten neue Finanzhilfen für die Ukraine ohne Geld aus dem EU-Gemeinschaftshaushalt finanziert werden. An Plänen dafür soll laut EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen jetzt gearbeitet werden. „Was auch immer beim nächsten Gipfel passiert, wir werden eine funktionierende Lösung haben“, sagte sie. Für die nächten Monate ist die Finanzierung der Ukraine gesichert.
Zugeständnisse an Orbán bei den Bedingungen für die Auszahlung eingefrorener Gelder werden öffentlich ausgeschlossen. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte: „Man darf Dinge nicht miteinander verknüpfen. Das ist in der Vergangenheit nicht passiert und das wird in der Zukunft nicht passieren.“ Europaabgeordnete hatten bei der Freigabe der rund zehn Milliarden Euro der Behörde vorgeworfen, sich erpressen zu lassen.
Als mögliches Druckmittel gegen Orbán gilt die Option, ein seit Jahren gegen Ungarn laufendes EU-Verfahren wegen Rechtsstaatsdefiziten voranzutreiben. So könnte dem Land am Ende sogar das Stimmrecht bei EU-Abstimmungen entzogen werden. Realistischer ist das zuletzt durch den Machtwechsel in Polen geworden. Bisher hatten sich die rechtsnationalen Regierungen in beiden Ländern unterstützt, was Fortschritte unmöglich machte.
Eine glaubhafte Drohung mit einem Stimmrechtsentzug könnte Orbán möglicherweise auch von weiteren Blockadeankündigungen zum EU-Beitrittsprozess der Ukraine abhalten.
Ungarn habe „noch 75 Möglichkeiten, diesen Prozess zu stoppen“, drohte Orbán am Freitag. Am Tag zuvor hatte er noch ermöglicht, den Start von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zu beschließen, indem er nicht an der Abstimmung teilnahm. So konnte er bei seinem Nein bleiben, ohne die Entscheidung zu blockieren. Die Idee dazu hatte Kanzler Scholz. „Es kann nicht jedes Mal durch vor die Tür gehen gelöst werden“, sagte er dazu am Freitag. „Das ist für besondere Momente.“