Berlin/Vilnius – Der Minister äußert sich nur vage, aber es reicht, um die Politik in Aufregung zu versetzen. Über das schwedische Modell einer Rückkehr zur Wehrpflicht spricht Boris Pistorius (SPD) am Wochenende. „Dort werden alle jungen Frauen und Männer gemustert, und nur ein ausgewählter Teil von ihnen leistet am Ende den Grundwehrdienst. Ob so etwas auch bei uns denkbar wäre, ist Teil dieser Überlegungen.“ Er prüfe alle Optionen, sagte Pistorius der „Welt am Sonntag“. „Aber jedes Modell, egal welches, braucht auch politische Mehrheiten.“
Dass Pistorius der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht nachtrauert, hat er mehrfach angedeutet. Kurz nach seinem Amtsantritt sprach er bereits von einem Fehler, den man aber nicht im Handumdrehen korrigieren könne. Eigentlich hatte zudem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Februar einer Debatte über eine Rückkehr eine Absage erteilt. Na und?
Pistorius sagt, er schaue sich einige Modelle an. Schweden hatte die Wehrpflicht 2010 ausgesetzt. Vor dem Hintergrund einer verschlechterten Sicherheitslage kehrte das Land 2018 zur Wehrpflicht zurück, im Sommer 2017 starteten Musterungen. „Wir haben Schwierigkeiten gehabt, die Kampfeinheiten auf freiwilliger Basis zu bemannen“, sagte der damalige Verteidigungsminister Peter Hultqvist. Für bis zu zwölf Monate eingezogen werden Männer und Frauen. Schweden wie auch Finnland hatten die Bedrohung durch Russland erkannt.
In der Ampel gibt es sofort Protest. Der verteidigungspolitische Sprecher der FDP im Bundestag, Alexander Müller, warnt, die Wiedereinführung der Wehrpflicht wäre ein „enormer Eingriff in die Freiheitsrechte, der nicht im Verhältnis zur Bedrohung Deutschlands steht“. Für eine Grundgesetzänderung fehle die politische Mehrheit. „Es wird nicht gelingen, die jeweils sportlichsten und fittesten jungen Menschen in die Truppe zu zwingen, und allen anderen ihre berufliche Freiheit zu lassen. Die Bundeswehr braucht motivierte und gut bezahlte Männer und Frauen, die freiwillig und aus innerer Überzeugung ihren Dienst tun.“
Pistorius deutet derweil an, dass er die Bundeswehr-Strukturen insgesamt überdenkt. „Wenn sich der Auftrag verlagert von internationalem Krisenmanagement zu Landes- und Bündnisverteidigung, dann muss sich auch die Organisation ändern.“ Er kündigt an, bis Ostern werde er von einem Staatssekretär und vom Generalinspekteur konkrete Vorschläge auf den Tisch bekommen „für die künftige Struktur der Streitkräfte und des nachgeordneten zivilen Bereichs“. Das klingt nach großer Reform.
Pistorius ist unterdessen nach Litauen geflogen, um ein anderes Verteidigungs-projekt voranzutreiben. Er trifft in Vilnius heute seinen Amtskollegen Arvydas Anusauskas, um einen Fahrplan für die dauerhafte Stationierung einer deutschen Brigade zu unterzeichnen. Sie soll 2025 einsatzbereit („kriegstüchtig“) in Dienst gestellt werden. Im Frühsommer zieht ein Vorkommando aufs Gebiet des Nato-Partners.
Hintergrund ist, Russland von einem Angriff auf das Baltikum abzuhalten. Litauen, Lettland und Estland haben dazu allein kaum die militärischen Mittel. Litauen etwa hat nur 15 000 Soldaten, darunter 3500 Wehrpflichtige. Helfen sollen nun 5000 Deutsche, darunter 200 Zivilbeschäftigte. Rekrutiert wird das aus zwei Kampftruppenbataillonen aus Bayern (hier geht es um das Panzergrenadierbataillon 122 aus Oberviechtach) und NRW.
Deutschland gilt als Schlüsselpartner bei der Aufrüstung und Modernisierung der litauischen Armee, die deutsche Waffensysteme und Fahrzeuge nutzt. Nicht wenige litauische Offiziere wurden zudem an den Hochschulen der Bundeswehr ausgebildet. In Litauen sind zudem die ersten von Deutschland an die Ukraine gelieferten und im Kampf gegen Russland beschädigten Leopard-2-Panzer repariert worden. Sie sollen im Januar zurück in die Ukraine rollen.