München – In anderen Zeiten wären diese Zahlen Grund zum Feiern gewesen. Fulminante 44,1 Prozent holte Ludwig Hartmann bei der Landtagswahl in München-Mitte, Katharina Schulze in Schwabing 34,1. Doch die Party im Herbst fiel aus. Denn es gab ganz andere Zahlen. 4,3 Prozent (Stimmkreis Regen/Freyung). 5,0 (Cham). 5,6 (Passau-West). 5,8 (Tirschenreuth). 5,7 (Schwandorf). 6,4 (Rottal/Inn und Hof). 9,1 (Altötting). 9,2 (Mühldorf). Die Kluft zwischen Stadt und Land wächst. Zum Ausklang des Wahljahres bricht sich der Ärger nun Bahn – die Stimmung ist wenig weihnachtlich.
Es ist jedenfalls recht lange her, dass sich letztmals ein amtierender Vorsitzender einer Kampfkandidatur stellen musste. Eva Lettenbauer (31) droht nun genau dies. Bei der Delegiertenkonferenz Ende Januar in Lindau tritt die ehemalige Landtagsabgeordnete Gisela Sengl für den weiblichen Platz in der Doppelspitze an: Kreisverband Traunstein, 63 Jahre alt, zweifache Großmutter, Landschaftsgärtnerin mit Bioladen am eigenen Hof.
Ihre Bewerbung, die seit dieser Woche online steht, ist eindeutig: „In der Stadt kommt unsere Politik nach wie vor an, da ist sie ganz fest in der Mitte der Gesellschaft“, schreibt Sengl. „Auf dem Land haben wir die Menschen, die uns schon einmal gewählt haben, verloren. Plötzlich sollen die Grünen an allem schuld sein. Das dürfen wir nicht einfach so mit uns geschehen lassen.“
Damit greift Sengl auf, was seit dem Wahltag gärt. „Es grummelt in der Partei, auf dem Land“, sagt Claudius Rafflenbeul-Schaub aus dem Miesbacher Kreisvorstand. Es fehle jemand, der am Stammtisch vermittelbar sei. „Wenn wir heute jemanden wie Sepp Daxenberger an der Spitze hätten, wären wir längst auch in Bayern in der Regierung“, kritisiert er. „Stattdessen sind wir das einzige westdeutsche Bundesland, in dem die Grünen noch nie in der Regierung waren.“ Der ehemalige Miesbacher Landrat Wolfgang Rzehak kommentierte Sengls Kandidatur: „Es ist wichtig, dass wir Grünen auch für den ländlichen Raum in Bayern wählbar sind.“ Die Traunsteinerin sei dafür „genau die Richtige“.
Das Wahlergebnis hat zu einer Unwucht geführt. Von 14 oberbayerischen Landtagsabgeordneten kommen zehn aus München Stadt und Land. Südostbayern ist überhaupt nicht mehr vertreten. Sengl ist eines der Opfer, ihr gelang nicht mal mit Platz 3 auf der Liste der Wiedereinzug. Das treibt nun all jene um, die bereits auf die nächste Kommunalwahl blicken und sich um die Verwurzelung der Partei in der Fläche sorgen.
So wie Landtagsvizepräsident Ludwig Hartmann, der die Herausfordererin offen unterstützt. „Gisela Sengl vereint Herz und Verstand, kommt vom Dorf, kennt das Land und liebt die Menschen“, sagt der gebürtige Landsberger. „Sie macht unserer Partei mit ihrer Kandidatur ein gutes Angebot, in der Führungsebene der Grünen eine Lücke zu schließen, die im Landtagswahlkampf sehr deutlich geworden ist.“
Natürlich geht es bei dieser Debatte auch um Inhalte. Hartmann selbst hat das im Wahlkampf erfahren müssen. Anders als andere Landesverbände – beispielsweise in Berlin – kennen die Bayern eigentlich keine Flügelkämpfe. Auch Katharina Schulze ist nicht so links, wie sie von Markus Söder oder Hubert Aiwanger dargestellt wird. Doch der wertkonservative Hartmann stand im Führungsquartett, zu dem noch der Landesvorsitzende Thomas von Sarnowski zählt, immer öfter als Außenseiter da. Auch deshalb wählte er nach dem überschaubaren Wahlergebnis die Flucht aus dem Fraktionsvorsitz ins Landtagspräsidium. Der interne Ärger übereinander war offenbar groß. Bei der Nominierung in der Fraktion bekam der Stimmenkönig der Partei ein sehr mäßiges Ergebnis.
Nun kulminieren die Debatten in der Kampfabstimmung über den weiblichen Teil der Doppelspitze. Über die Vorsitzenden gab es unlängst auch Ärger, weil beim Bundesparteitag alle bayerischen Kandidaten für die Europaliste durchfielen. Das war schlecht mit anderen Landesverbänden vorbereitet, klagen die Realos. Den beiden jungen Vorsitzenden fehlte da ein wenig Lebenserfahrung. Kritisiert wird auch die geringe Außenwahrnehmung. Von der älteren Gisela Sengl erwarten sich ihre Unterstützer dagegen ein bayerisch-beherzteres Auftreten.
Der Ausgang ist offen. Fraktionschefin Schulze lässt Präferenzen erkennen. „Mit beiden habe ich in der Fraktion und Partei gut zusammengearbeitet, im Wahlkampf in den letzten Monaten mit der Landesvorsitzenden Eva Lettenbauer besonders intensiv und vertrauensvoll.“
Sengl selbst sieht ihre Kandidatur als „Ergänzung“ zum sonst eher jungen, akademischen, städtischen Team. Wobei: Richtig städtisch ist Eva Lettenbauer ja nicht. Sie wohnt in Reichertswies im Kreis Donau-Ries. Stolze 18 Häuser, 60 Einwohner.