Brüssel – Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg geht davon aus, dass Russland seine Kriegsziele in der Ukraine trotz großer militärischer Anstrengungen nicht mehr erreichen kann. Der Zweck der von Präsident Wladimir Putin angeordneten Invasion sei es gewesen, zu verhindern, dass die Ukraine sich in Richtung Nato und Europäische Union bewegt, sagte er kurz vor Weihnachten. Nach fast zwei Jahren Krieg sei die Ukraine nun aber näher an Nato und EU als je zuvor.
„Präsident Putin hat die Ukraine für immer verloren“, sagte Stoltenberg mit Blick darauf, dass Russland die Ukraine jahrzehntelang als Teil seiner Einflusssphäre sah. Dies sei eine große strategische Niederlage für Russland. Er sei sich absolut sicher, dass die Ukraine ihr Ziel eines Nato-Beitritts irgendwann erreichen werde.
Stoltenberg verwies zudem darauf, dass Russland für seinen Krieg einen enorm hohen Preis zahlt. Das Land habe bereits Hunderte von Flugzeugen und Tausende von Panzern verloren. 300 000 Soldaten seien getötet oder verwundet worden. Infolge des Krieges steige zudem die Inflation und der Lebensstandard sinke. Auch sei Russland politisch isolierter als zuvor.
Die Kämpfe gehen derweil weiter. Bei einem russischen Drohnenangriff auf ein Wohnhaus in der ukrainischen Hauptstadt Kiew wurden ukrainischen Angaben zufolge zwei Menschen verletzt. Nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe vom Freitag feuerte Russland in der Nacht insgesamt 28 dieser Kampfdrohnen iranischer Bauart auf die Ukraine ab, von denen 24 abgefangen werden konnten. Kiew wird regelmäßig von russischen Drohnen und Raketen angegriffen. Die meisten dieser Angriffe werden jedoch abgewehrt.
Stoltenberg warnte davor, angesichts der Entwicklungen auf ein schnelles Kriegsende zu setzen und zu glauben, dass Putin nach der voraussichtlichen Wiederwahl am 17. März einen Kurswechsel einleitet. „Wir haben keine Anzeichen dafür, dass Putin seine Ziele und seine Politik ändern wird“, sagte der frühere norwegische Regierungschef. „Er wird weiter versuchen, mehr Gebiete zu besetzen.“
Die Nato und ihre 31 Mitgliedstaaten müssten deshalb die Unterstützung der Ukraine entschlossen fortsetzten. „Die Ukrainer haben gezeigt, dass sie in der Lage sind, sich zu verteidigen, sich zur Wehr zu setzen, besonders, wenn sie Waffen aus Deutschland und vielen anderen Nato-Staaten erhalten“, sagte er.
Konkret forderte Stoltenberg die Alliierten dazu auf, zu prüfen, ob der Ukraine nicht durch Änderungen an bestehende Vereinbarungen mit Drittstaaten mehr Rüstungsgüter zur Verfügung gestellt werden könnten. „Insgesamt müssen wir unsere Produktion hochfahren, um der Ukraine besser zu helfen und uns besser zu schützen.“
Zuvor hatte sich abgezeichnet, dass die EU-Pläne für die Lieferung von einer Million Artilleriegeschosse an die Ukraine bis zum Frühjahr 2024 scheitern werden. Als ein Grund dafür gilt, dass Schätzungen zufolge derzeit mindestens 40 Prozent der Produktion in Drittstaaten exportiert wird. Die Frage sei tatsächlich, ob man so viel in Drittländer exportieren müsse, wie man es gegenwärtig tue, sagte Stoltenberg. Der US-Senat in Washington hatte sich diese Woche in die Feiertage verabschiedet, ohne dass zuvor eine Einigung zu weiteren Hilfen für die Ukraine erzielt worden wäre.
Nicht äußern wollte sich der Norweger zu den Diskussionen über die mögliche Mobilisierung weiterer Soldaten in der Ukraine (siehe links). „Ich werde mich hüten, Präsident Selenskyj Ratschläge zu geben, wie er den Krieg am besten führen sollte“, sagte er. „Niemand kennt den Bedarf an Soldaten besser als die Ukrainer.“
Zu seinem geplanten Ausscheiden aus dem Amt des Generalsekretärs im kommenden Herbst und der Bewerbung des scheidenden niederländischen Premierministers Mark Rutte für seine Nachfolge äußerte sich Stoltenberg nur knapp. „Mark ist ein Freund und er ist ein fähiger Ministerpräsident mit viel Erfahrung. (…) Aber es ist nicht an mir, eine Empfehlung abzugeben.“