Moskau – 20 Tage war der inhaftierte Kremlgegner Alexej Nawalny verschwunden. Nun gibt es von ihm ein erstes Lebenszeichen: Offenbar ist Nawalny in das Straflager „Polarwolf“ im hohen Norden Russlands weitab vom Machtzentrum Moskau verlegt worden, wo die Haft besonders brutal sein soll. „Mir geht es gut“, schrieb der 47-Jährige in einem am Dienstag in den sozialen Netzwerken verbreiteten Brief. Er berichtete von einer anstrengenden 20-tägigen Reise in die dunkle arktische Region des Riesenreichs. Seine Familie und Unterstützer reagierten erleichtert.
Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch sagte, Kremlchef Wladimir Putin versuche, durch die Verbannung seines Gegners dessen Einfluss vor der Präsidentenwahl zu reduzieren. Putin will sich am 17. März zum fünften Mal zum Präsidenten wählen lassen, Nawalny greift ihn auch aus dem Straflager heraus immer wieder scharf an.
Nawalnys Team hatte am Montag darüber informiert, dass der Oppositionsführer nach langer Suche von einem Anwalt in dem Lager IK-3 in Charp im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen gefunden worden sei. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass mich hier jemand vor Mitte Januar findet“, sagte Nawalny. Die russischen Behörden hatten keine Angaben zu Nawalnys Verbleib gemacht, nachdem er das vorherige Straflager im Gebiet Wladimir rund 260 Kilometer von Moskau Anfang Dezember verlassen hatte.
Das für seine harten Haftbedingungen berüchtigte Straflager „Polarwolf“ liegt mehr als 2000 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Die schwer zugängliche Region ist für ihren Permafrostboden bekannt. „Die Bedingungen dort sind brutal“, sagte Nawalnys Mitarbeiter Iwan Schdanow. Es handele sich um eines der nördlichsten und entlegensten Straflager überhaupt. Es sei von Anfang an klar gewesen, dass Moskaus Machtapparat den Gegner Putins isolieren wolle.
Der unter anderem wegen angeblichen Extremismus zu 19 Jahren Haft verurteilte Nawalny führt immer wieder Klagen gegen den Strafvollzug wegen Verletzung seiner Rechte. Er nutzt die Gerichtsauftritte nicht zuletzt zur beißenden Kritik an Putins autoritärem System und Moskaus Krieg gegen die Ukraine. Zuletzt wurde Nawalny mit Beginn des Wahlkampfes zu den Verhandlungen nicht mehr zugeschaltet.
Zugleich hatten die Kremlgegner um Nawalny Anfang Dezember auch die Kampagne „Russland ohne Putin“ begonnen, mit der sie Wähler vor der Präsidentenwahl dazu aufrufen, durch die Stimmabgabe für andere Kandidaten ihren Protest zu äußern. Putins Mitbewerber gelten aber als chancenlos.
Die Sorge um Nawalny war auch deshalb groß gewesen, weil er gesundheitlich angeschlagen ist. Nawalny, der 2020 auch einen Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok überlebt hatte, ist seit fast drei Jahren in Haft. „Obwohl heute auch Weihnachten ist, ist die Tatsache, dass wir Alexej an diesem Tag gefunden haben, kein Weihnachtswunder, sondern die gewaltige und akribische Arbeit der Juristen des Anti-Korruptions-Fonds“, teilte Nawalnys Ehefrau Julia Nawalnaja mit. Sie veröffentlichte dazu ein älteres Selfie von sich mit ihrem Mann aus glücklichen Tagen. ULF MAUDER