Kiew – In der von Russland bombardierten Ukraine sind kurz vor dem Neujahrsfest bei beispiellosen Luftangriffen landesweit mehr als 30 Menschen getötet und mehr als 150 weitere verletzt worden. Die ukrainische Führung sprach von massivem „Terror“ gegen die Zivilbevölkerung. Bis Freitagabend waren 31 Todesopfer bekannt, 152 Menschen wurden zudem verletzt, wie die regionalen ukrainischen Behörden mitteilten. Tote gab es demnach in Dnipro, Charkiw, Saporischschja, Odessa, Lwiw (Lemberg) und der Hauptstadt Kiew.
Das Militär in Kiew sprach vom „massivsten Luftangriff“ auf die Ukraine seit Beginn des Krieges – also seit fast zwei Jahren. Der ukrainischen Luftwaffe zufolge feuerte Russland 158 Raketen und Kampfdrohnen gegen das Land ab. Der ukrainische Oberbefehlshaber Waleryj Saluschnyj sprach von 122 Raketen und Marschflugkörpern sowie von 36 Drohnen. Noch nie seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine gab es demnach solche starken Luftangriffe an einem Tag.
Eine der russischen Raketen verletzte nach bisherigen Erkenntnissen der polnischen Armee für kurze Zeit den Luftraum des Nato-Mitgliedslandes. „Alles deutet darauf hin, dass eine russische Rakete in den polnischen Luftraum eingedrungen ist. Sie wurde von uns auf dem Radar verfolgt und hat den Luftraum auch wieder verlassen“, sagte Generalstabschef Wieslaw Kukula. Den Angaben zufolge befand sich die Rakete etwa drei Minuten lang im polnischen Luftraum und überflog 40 Kilometer.
Die bis dahin höchste offiziell gemeldete Zahl russischer Raketen, die an einem Tag auf die Ukraine abgefeuert worden waren, lag bei rund 90. Die Flugabwehr habe diesmal mehr als 70 Prozent der russischen Angriffe abfangen können, sagte Saluschnyj.
Das Verteidigungsministerium in Moskau kommentierte den Angriff nur am Rande und sprach von einem „massierten Schlag mit Hochpräzisionswaffen und Drohnen“. Dieser sei gegen militärische Ziele wie Rüstungsbetriebe, Militärflughäfen und Waffendepots geführt worden. „Alle anvisierten Objekte wurden getroffen“, betonte das Ministerium dabei.
„Heute hat Russland mit fast allem geschossen, was es in seinem Arsenal hat – mit Kinschal, S-300, Marschflugkörpern, Drohnen. Strategische Bomber haben Ch-101/Ch-505 (russische Marschflugkörper) abgefeuert“, schrieb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Er sprach von großen Schäden im zivilen Bereich. Eine Entbindungsstation, Bildungseinrichtungen, ein Einkaufszentrum und viele private Wohnhäuser seien getroffen worden. Die Aussagen unterlegte Selenskyj mit einem Video, das unter anderem ein völlig zerstörtes Einkaufszentrum zeigte.
Der britische Premierminister Rishi Sunak verurteilte die Angriffe und machte Kremlchef Wladimir Putin direkt verantwortlich. „Diese umfassenden Attacken auf ukrainische Städte zeigen, dass Putin vor nichts zurückschrecken wird, um sein Ziel zu erreichen, Freiheit und Demokratie auszurotten“, schrieb Sunak beim Onlinedienst X.
Der ins Ausland geflüchtete Kremlgegner Leonid Wolkow warf dem russischen Präsidenten „Sadismus“ und „Wahnsinn“ vor. „Putin hat die massivste Terrorattacke auf die ukrainischen Städte verübt“, teilte der Vertraute des inhaftierten Oppositionspolitikers Alexej Nawalny mit. Zum Jahresende solle das der ganzen Welt zu denken geben, „wie wenig sie 2023 getan hat, um einen der schrecklichsten und blutrünstigsten Irren des 21. Jahrhunderts zu stoppen“.