München – 2024 wird auch das Jahr der spannenden Landtagswahlen im Osten. In den Umfragen steht die AfD sehr stark da, ihre bundesweite Mitgliederzahl stieg im vergangenen Jahr um 37 Prozent auf 40 131. Ein Gespräch mit der Politologin Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, über das, was auf Deutschland zukommt.
Frau Professorin, die Mehrheit der Deutschen rechnet 2024 mit einem AfD-Ministerpräsidenten im Osten – Sie auch?
Ich bin beim Blick auf die AfD nicht naiv, aber so weit würde ich nicht gehen. Es ist ja noch eine Weile hin bis zu den Wahlen. Richtig, die AfD erfreut sich in Umfragen gewisser Beliebtheit. Aber zum Beispiel ein Björn Höcke als Person kommt bei den Menschen überhaupt nicht an. Man sollte deshalb aufpassen, das nicht herbeizureden.
Bei den anderen Parteien herrscht nach wie vor Ratlosigkeit, wie man mit der AfD umgehen soll.
Es ist nicht leicht, auf die geänderte Mediennutzung und die starke Online-Präsenz der AfD eine Antwort zu finden. Aber es stimmt: Die Politik überlegt sich sehr spät, wie sie mit der Unzufriedenheit der Menschen umgeht. Das gilt nicht nur für die Ampel-Parteien, sondern auch die Union. Im Osten hat die CDU da einen ganz anderen Zugang als Friedrich Merz.
In Sachsen versucht Michael Kretschmer, mit seinen Positionen AfD-Wähler abzuholen. Nur scheint es nicht zu funktionieren.
Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Bei der Wählerschaft im Osten schwingt noch immer die große Enttäuschung über die damalige CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel mit. Das haben die Menschen nicht vergessen – gerade bei der Migrationspolitik. Da hat die AfD eine konstantere Linie.
Ist das nach wie vor das wichtigste Thema?
Es ist in Deutschland, aber auch in Bayern sehr zentral. Aber es kommen andere dazu: die Russlandpolitik, die Unterstützung der Ukraine, die finanziellen Belastungen.
SPD-Chefin Saskia Esken bringt wieder ein Verbot der AfD ins Spiel. Ist das bei diesen Umfragewerten überhaupt realistisch?
Unabhängig von den Werten stellt sich eine grundsätzliche Frage: Liefert die AfD genügend Anlass, um die Hürden für ein Parteienverbot zu überwinden? Das Grundgesetz hat diese Hürden – aus gutem Grund – sehr hoch gelegt. Und das Bundesverfassungsgericht hat sie im NPD-Verfahren nochmals erhöht.
Sie klingen skeptisch.
Man muss unterscheiden: Ich halte das Gedankengut vieler namhafter Akteure in der AfD tatsächlich für verfassungswidrig. Die wollen ein anderes System als unsere freiheitlich-demokratische Ordnung. Aber das Parteiprogramm der AfD allein reicht sicher nicht für ein Verbot aus. Man müsste also die Äußerungen vieler Einzelpersonen zusammentragen. Da wird die Beweisführung schwierig. Und es bleibt die Sorge: Wenn ein Verbotsantrag scheitert, könnte das zum Freifahrtschein für die AfD uminterpretiert werden.
Andere hoffen darauf, dass die Partei von Sahra Wagenknecht der AfD Stimmen abnimmt. Eine eher kuriose Karriere zur Hoffnungsträgerin!
Ja, das ist wirklich bizarr. Aber Frau Wagenknecht könnte der AfD im Osten tatsächlich Stimmen abnehmen, weil sie die Themen Migration und Russland deckungsgleich bedient und die „normalen Menschen“ anspricht, die andere Parteien angeblich vernachlässigen.
Aber tritt sie überhaupt an?
Ich bin skeptisch, dass sie das bis September stemmt. Es ist sehr schwierig, genügend Kandidaten, Geld und Unterstützer in 16 Landesverbänden zu organisieren. Eine Talkshow zu bestreiten, ist jedenfalls deutlich einfacher.
In einer neuen Umfrage kommen die Ampel-Parteien in Sachsen noch auf zusammen zwölf Prozent. Verheerende Zahlen!
Sowohl die FDP als auch die Grünen haben in Ostdeutschland – jenseits einiger Universitätsstädte – noch nie eine Rolle gespielt. Niederschmetternd sind solche Zahlen deshalb vor allem für die SPD, die sich ja lange als Partei für West und Ost gesehen hat.
Nach der FDP-Mitgliederbefragung sieht es so aus, als würde sich der Streit in der Ampel verschärfen.
Es wird sich 2024 in der Ampel wenig ändern. Das Grundproblem bleibt: FDP und Grüne haben ein komplett unterschiedliches Staatsverständnis – also bei der Frage, was der Staat leisten und wo er sich einmischen soll. Nur so konnte es zum großen Ärger ums Heizungsgesetz kommen. Olaf Scholz müsste irgendwann die Botschaft verstehen und ergebnisorientiert moderieren. Aber selbst dann könnte er keine Machtworte sprechen. Der Kanzler ist schwach, weil die SPD-Fraktion nicht stark an Mandaten ist.
Interview: Mike Schier