Stuttgart – Christian Lindner ist angeschlagen. Und zwar ganz im wörtlichen Sinne. Statt im Krankenbett zu liegen, steht er auf der Bühne der prunkvollen Oper und redet dem Publikum gut zu – mit etwas Fieber, wie er sagt. Das Datum, die aktuell aufgeheizte Stimmung im Land, in der Koalition und in der Partei, all das lasse ihn wohl nicht ganz zur Ruhe kommen. Es ist das traditionelle Dreikönigstreffen der FDP. Ein Neujahresempfang für den Neuanfang. Um sich von den Strapazen des vergangenen Jahres auszukurieren – mit einem verschnupften Parteivorsitzenden. Für den FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai ist die Kundgebung „Balsam für die Seele“.
2023 hat der FDP zugesetzt. Aus den Landesparlamenten in Bayern und Berlin flogen die Liberalen komplett, in Hessen und Bremen kamen sie gerade so mit einem blauen Auge davon. Der Unmut über die Ampel, über die FDP wächst an allen Fronten. Die Schauplätze vor den Toren des Opernhauses sind ein Miniaturabbild der großen Krisen. Dort demonstrieren Landwirte gegen das Ende von Subventionen, Umweltaktivisten fordern Klimageld statt Schuldenbremse, eine andere Gruppe will einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza, Peta-Aktivisten kritisieren die FDP für fehlenden Tierschutz, und die jungen Liberalen fordern die Aktienrente jetzt.
In der FDP rumort es. Zwar leuchtet auf der großen Leinwand im Stuttgarter Opernhaus immer wieder der Slogan „Alles, außer unentschieden“ auf, doch so ganz entschieden ist nicht jeder in der Partei. Das FDP-Mitgliedervotum zum Verbleib in der Ampel-Regierung fiel mit rund 48 Prozent dagegen und 52 Prozent dafür fast unentschieden aus. Manch einer in der FDP schlägt für 2025 schon eine Deutschlandkoalition mit Union und SPD vor.
Doch statt angesprochen wird das Votum nur angeschnitten. „Ich nehme jede Kritik von Unterstützerinnen und Mitgliedern der FDP an, dass wir nicht alles und nicht alles sofort umsetzen können“, sagt Lindner. Um schon im übernächsten Satz auf die CDU zu kommen, von der er „keine Belehrungen“ entgegennehme.
Generalsekretär Djir-Sarai würdigt leicht flapsig die „wahnsinnig vielen Individualisten“ und die „großartige Diskussionskultur“ in einer Partei, „in der auch ein Kreisvorsitzender ein Zehn-Punkte-Programm macht, wie eine Bundesregierung zu arbeiten hat“. Hat die FDP den kleinen Aufstand also schon überwunden? „Die FDP ist eine Regierungspartei und hat schlichtweg anderes zu tun, als sich mit sich selbst zu beschäftigen“, erklärt Vizefraktionschef Konstantin Kuhle unserer Zeitung. Gerade über andere Koalitionen nachzudenken verbiete sich zudem, „weil jetzt übernehmen wir erst mal Verantwortung fürs Land“, sagt Kuhle.
Deswegen beschwört Lindner lieber Einigkeit. Symbolträchtig sind alle FDP-Bundesminister in der ersten Reihe platziert. Der FDP-Chef kritisiert die gesamtgesellschaftliche „Lust am Untergang“, die er „kaum mehr ertragen“ könne. Die FDP müsse wieder mit ihrem „liberalen Tatendurst“ anstecken, sagt Lindner. Er bekennt sich wieder klar zum Einhalten der Schuldenbremse, verspricht einen Bürokratieabbau und fordert eine Wirtschaftswende. Spott Richtung Bayern inklusive: Markus Söders (CSU) Vorschlag, die Wehrpflicht wieder einzuführen, „garniert mit einem Foto aus Rekrutentagen“, habe nichts mit Realpolitik zu tun. „Das ist Romantik.“
Der eigentliche Star aber ist jemand anderes. Marie-Agnes Strack-Zimmermann wird mit Jubel begrüßt und mit stehendem Applaus verabschiedet. Die designierte Spitzenkandidatin für die Europawahl am 9. Juni hält eine kurze Brandrede für Europa und verspricht der Ukraine weiter Unterstützung. In Richtung CSU-Gästeliste im Kloster Seeon sagt sie: „Wir brauchen weniger von der Leyen, mehr von der Freiheit.“