München – Sollten sie im Innersten doch noch Zweifel plagen, dann überspielt sie diese ziemlich gut. Sahra Wagenknecht, die lange überlegte, ob sie die Kraft zur Gründung einer neuen Partei hat, wirkt am Montag zufrieden, gelöst. Dies sei „ein bisschen auch ein historischer Tag“, sagt sie am Morgen in Berlin. Wissen kann sie das natürlich noch nicht. Aber hoffen.
Es ist ein verrückter Zufall: Just an dem Tag, da draußen im Land tausende Bauern ihrem Frust Luft machen, gründet sich in einem Berliner Hotel eine, also ihre neue Protestpartei. Das „Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit“ will schon bei den Europawahlen im Juni mitmischen, im Herbst bei den drei Wahlen im Osten. Die Ziele sind groß. Man wolle Volkspartei werden, sagt der Ex-Linke Fabio de Masi, eines der prominenten BSW-Gesichter. Auch darin steckt viel Hoffnung, wenig Gewissheit.
Monatelang war unklar, ob es überhaupt etwas werden würde mit der neuen Partei. Dann gründete die 54-jährige Wagenknecht den Vorläuferverein BSW, sprengte die Linke im Bundestag. Seit gestern gibt es kein Zurück mehr. Am Morgen gründen 44 Mitglieder formell die Partei mit Wagenknecht und Ex-Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali an der Spitze. Generalsekretär ist Christian Leye, ebenfalls ein abtrünniger Linker, Schatzmeister der Unternehmer Ralph Suikat. Zur Europawahl treten de Masi und Düsseldorfs früherer SPD-Oberbürgermeister Thomas Geisel als Duo an.
Ob die Ansammlung von Unzufriedenen wirklich zusammenwächst, lässt sich nicht sagen. Für den Anfang reicht der Frust, der sie eint. Parteivize Shervin Haghsheno, Uni-Professor mit iranischem Migrationshintergrund, spricht von einem großen Vertrauensverlust in die „sogenannten demokratischen Parteien“. Wagenknecht sagt, es gehe darum, „Unfähigkeit und Arroganz“ der Ampel-Regierung zu überwinden. Deren Politik spalte das Land und gefährde die Demokratie. Viele Menschen fühlten sich im Stich gelassen.
Mit der Diagnose zieht sie seit Monaten durchs Land. Welches Gegenmodell sie anzubieten hat, wird aber nur in Grundzügen klar: weniger Migration, mehr Staat, eine moderatere Klimapolitik. Waffen für die Ukraine lehnt die Partei ab, die Nato auch. Ein Programm, in dem die Positionen von links bis konservativ zementiert sind, wird es erst nach der Bundestagswahl im nächsten Jahr geben.
Bis dahin sollen die groben Positionen reichen. Dass einige davon durchaus AfD-kompatibel sind, lässt bei Wagenknecht keine Zweifel aufkommen, eine Zusammenarbeit lehnt sie ohnehin ab. Auch bei der Auswahl neuer Mitglieder will die Partei vorsichtig sein, um sich gegen Spinner immun zu machen. „Wir gucken uns jeden an, der kommt“, sagt sie. Direkte Wechsel von der AfD werde es nicht geben.
Mindestens einen augenfälligen Schnittpunkt mit den Rechtspopulisten gibt es aber doch: die Haltung zu Russland und dem Angriffskrieg gegen die Ukraine. Nicht nur Wagenknecht relativiert immer wieder die Schuld des Kreml und wettert gegen die Nato, die angeblich einen Frieden boykottiere. Sanktionen gegen Moskau lehnt sie ab. Auch de Masi tat sich unlängst im Nachrichtendienst X mit ähnlichen Äußerungen hervor. Dass er Putins Lied pfeife, hält er trotzdem für eine „infame“ Unterstellung.
Als solche sieht Wagenknecht auch den Verdacht, ihr BSW werde direkt vom Kreml finanziert. Schatzmeister Ralph Suikat wies das zuletzt im „Spiegel“ zurück. Von den 1,4 Millionen Euro, die der Verein 2023 einnahm, gab es angeblich nur zwei Spenden à 75 Euro mit Russlandbezug. Auffällig bleibt dennoch, wo das Geld einging: Sein Spendenkonto hat das BSW laut „Tagesspiegel“ bei der Volksbank Pirna, die mit Radikalen links bis rechts sowie russischen Propagandisten Geschäfte macht.
Vor Wagenknecht und ihren Mitstreitern liegt jetzt viel Arbeit. Für Ende Januar ist ein Parteitag geplant, vier Wahlkämpfe müssen organisiert werden. Im Osten, so hoffen Optimisten, könnte das neue Bündnis der Höcke-AfD Stimmen abjagen, vielleicht gar mit der Union koalieren. Wagenknecht hält Regierungsbeteiligungen jedenfalls für möglich – und denkt weiter: Man wolle „die nächsten 20, 30, 40 Jahre bleiben“, sagt sie. Vorerst muss die Partei das laufende Jahr überstehen.