Südafrikas besondere Freundschaft mit Palästina

von Redaktion

Warum ein afrikanisches Land Israel vor einem UN-Gericht anklagt – Ab heute Anhörung in Den Haag

Kapstadt – Israel-Flaggen vor Tafelberg-Kulisse: An der Uferpromenade des jüdisch geprägten Kapstädter Bezirks Sea Point haben sich Demonstranten versammelt, um sich mit Israel solidarisch zu zeigen. Ihnen gegenüber stehen Gegendemonstranten mit Palästina-Flaggen. „Babymörder!“, schallt es aus der Menge. Auf die Frage, ob man nicht mehr Toleranz üben sollte, kennt einer der Versammelten schnell die Antwort: „Sorry, aber doch nicht gegenüber den Zionisten.“ Seine Töne sind am Kap nicht neu: Schon vor Jahren hat der Nahostkonflikt den Südzipfel Afrikas erreicht.

Mit seiner Klage vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) gegen Israel geriet Südafrika in die Schlagzeilen. Pretoria wirft Israels Armee vor, beim Vordringen in den Gazastreifen gegen das Übereinkommen zur Verhütung und Bestrafung eines Völkermordes verstoßen zu haben. Jeder hundertste Bewohner des Gebiets sei bereits getötet worden. „Und mit jedem weiteren Tag, an dem Israel die militärischen Angriffe fortsetzt, wird es weitere erhebliche Verluste von Leben und Eigentum geben“, argumentieren Südafrikas Anwälte in ihrem Plädoyer. Die Anhörungen vor dem IGH in Den Haag sind für heute und morgen geplant.

Am Kap hat die Klage gegen Israel den Keil noch tiefer zwischen die verschiedenen Religionen und Volksgruppen getrieben. Überrascht reagierte aber kaum jemand. Seit vielen Jahren solidarisieren sich vor allem Vertreter der muslimischen Minderheit sowie der schwarzen Mehrheit mit den Palästinensern. Diese würden vom „Apartheidstaat“ Israel ebenso unterjocht wie einst die Südafrikaner vom weißen Regime, meinen sie. Vor Supermärkten rufen die Palästina-Unterstützer bei Demonstrationen regelmäßig zu einem Boykott israelischer Produkte auf.

Rückendeckung bekommt die Anti-Israel-Lobby vom regierenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC). Legendär sind inzwischen die Zeitdokumente der historischen Freundschaft, die Zeitungen heute noch drucken: Fotos, auf denen Nelson Mandela den damaligen Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), Jassir Arafat, auf die Wange küsst.

Bisher schaffte die ANC-Regierung einen Spagat zwischen Palästina-Solidarität und den eher pragmatischen Handels- und konsularischen Beziehungen zu Israel. Etliche jüdische, fast ausschließlich weiße Südafrikaner sind Doppelstaatsbürger. Der Israel-Hamas-Konflikt brachte eine Wende. Im November zog Präsident Cyril Ramaphosa Südafrikas Diplomaten aus Tel Aviv ab. Kurz danach stimmte das südafrikanische Parlament dafür, die israelische Botschaft in Pretoria zu schließen. Und dann die Klage vor dem Gerichtshof.

Die Zeichen stehen also auf Konfrontation. Einige der 50 000 Juden am Kap klagen über wachsenden Antisemitismus. „Außerstande, das Geschehen vor Ort zu beeinflussen, greift die Anti-Israel-Lobby darauf zurück, heimische Juden einzuschüchtern und zu bedrohen“, kritisiert die Direktorin der Dachorganisation Jewish Board of Deputies, Wendy Kahn. Sie verurteilt jüngste Übergriffe auf Pro-Israel-Demonstranten vor dem Kapstädter Parlament.

„Es ist schwer zu sagen, ob der Antisemitismus seit dem 7. Oktober wirklich zugenommen hat. Wenn man Antizionismus als Deckmantel für Antisemitismus sieht, ist das sicher der Fall“, sagt Milton Shain, Religionshistoriker der Uni Kapstadt. Unter Südafrikas Akademikern habe die Palästina-Lobby zuletzt vermehrt Unterstützer gefunden. MARKUS SCHÖNHERR

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