Österreich geht in ein enges Wahljahr

von Redaktion

VON MARC BEYER

München/Wien – Der Jahresbeginn ist eine Zeit der frommen Wünsche und guten Vorsätze – auch in Österreich. Als sich Bundespräsident Alexander van der Bellen neulich an seine Landsleute richtete, sparte er nicht an warmen Worten. Man möge „mehr miteinander und weniger übereinander reden“, gerade im kommenden Jahr mit seinen zahlreichen Wahlen. Van der Bellen, bis 2016 Mitglied der Grünen, appellierte an Anstand und Vernunft der Wettbewerber, „denn es wird auch eine Zeit nach der Wahl geben“. Da solle man einander noch in die Augen sehen können.

Das sagt sich so leicht. Die heiße Phase vor Europawahl im Juni und Nationalratswahl im Herbst hat noch nicht mal begonnen, doch an Streitpotenzial herrscht bereits jetzt kein Mangel. Gerade erst haben ÖVP und SPÖ einander mit zwei neuen Untersuchungsausschüssen traktiert, die angebliche Fälle von Machtmissbrauch ausleuchten sollen. Und das Jahr ist noch jung.

Gleichzeitig ist es gut möglich, dass die Partei von Bundeskanzler Karl Nehammer und die Sozialdemokraten nach dem Urnengang im Herbst ihre Kräfte bündeln müssen. In der jüngsten Umfrage lagen SPÖ und ÖVP mit 23 beziehungsweise 21 Prozent nah beieinander – und ein ganzes Stück hinter der rechtspopulistischen FPÖ (29). Sowohl Nehammer als auch SPÖ-Chef Andreas Babler lehnen ein Bündnis mit den Freiheitlichen kategorisch ab. Die Politik von FPÖ-Chef Herbert Kickl gilt in demokratischen Kreisen als nicht vermittelbar.

Warum das so ist, war in der vergangenen Woche zu sehen, als Kickl dem ORF ein Interview gab. Stunden zuvor war bekannt geworden, dass bei einem Geheimtreffen rechter Politiker und Strippenzieher in Potsdam über die Möglichkeit massenhafter Abschiebungen von Migranten debattiert wurde. Kickl verteidigte das Konzept der „Remigration“, das der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner propagiert. Auch nach der Einbürgerung von Migranten könne sich die „Rechtslage“ ändern und die Staatsangehörigkeit wieder entzogen werden. Den Verweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention überging der Ex-Innenminister. Sellner und seine rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ verharmloste Kickl bei früherer Gelegenheit als „NGO von rechts“.

Die Partei, die im Zuge der Ibiza-Affäre vom Wähler abgestraft worden war, ist dank der Reizthemen Corona, Inflation und Energie in Umfragen zur führenden Kraft aufgestiegen. Auch der Daueraufreger Migration nutzt keinem so wie der FPÖ. Umso schwieriger dürfte es für die Konkurrenz werden, an ihr vorbei Mehrheiten zu bilden.

Aktuell steht Austrias Parteienlandschaft vor einem großen Patt. Denkbare Szenarios gibt es einige, aber wirklich aufdrängen tut sich keines. Mit der FPÖ will niemand koalieren, ÖVP und SPÖ kämen gemeinsam auf keine Mehrheit, Dreierbündnisse sind – das wissen die Deutschen – schwierig. Eine Umfrage des „Standard“ ergab diese Woche, dass knapp drei Viertel der Befragten einen Regierungswechsel und einen neuen Bundeskanzler erwarten. 65 Prozent glauben, dass die Grünen aus der Regierung ausscheiden, fast genauso viele rechnen damit, dass die ÖVP irgendwie in der Verantwortung bleibt – aber nicht mehr mit einem Kanzler Nehammer.

Die SPÖ, demoskopisch aktuell die zweite Kraft, will unter dem neuen Parteichef Babler dezidiert auf linke Politik setzen und die Einschnitte der ÖVP-Regierung rückgängig machen. Dennoch – und trotz der jüngsten Untersuchungsausschüsse – können sich die Sozialdemokraten zunehmend mit dem Gedanken an eine Große Koalition anfreunden. Das könne funktionieren, „wenn man sich gegenseitig Erfolge gönnt“, gab der niederösterreichische SPÖ-Chef Sven Hergovich zu bedenken. Für Babler geht es nicht zuletzt darum, einen Kanzler Kickl zu verhindern.

Tatsächlich glaubt nur ein Drittel der Wahlberechtigten, dass der FPÖ-Chef im Herbst zum Kanzler aufsteigt. Dieselbe Umfrage bescheinigt den Freiheitlichen allerdings, von allen Parteien am besten auf die aktuellen Herausforderungen vorbereitet zu sein. Kickl gibt sich entsprechend siegesgewiss: 2024 werde das „Jahr der Wende“.

Artikel 3 von 11