Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so furchtbar traurig wäre. Der Boykott-Aufruf „Strike Germany“ liest sich derart überdreht und bar jeder Kenntnis, dass zunächst tatsächlich unklar war, ob es sich nicht doch um Satire handelt. Tut es nicht.
Die Initiatoren, die nach wie vor anonym sind, fordern in scharfen Worten den Boykott deutscher Kulturinstitutionen, da sie diese als verlängerten Arm der Regierung und ihrer angeblich zu israelfreundlichen Politik begreifen. Das ist Blödsinn. Das Gegenteil ist richtig: Wirklich erschreckend war das herz- und hirnlose Schweigen in der Kulturszene nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober. Es währte zu lange und wurde – von Ausnahmen abgesehen – nur zaghaft beendet.
Völlig absurd ist, dass Nobelpreisträgerin Annie Ernaux als prominenteste Unterstützerin des Aufrufs ihre Bücher hier dennoch weiter erscheinen lässt. Auch Bühnen-Adaptionen ihrer Texte dürfen künftig in Deutschland gespielt werden, etwa heute Abend in München. Durch diese Inkonsequenz verliert die Schriftstellerin jegliche Glaubwürdigkeit. Vielleicht weiß sie aber doch, dass es zu den wichtigsten Aufgaben der Kultur gehört, in den Dialog zu treten. Wer nach Boykott kräht, verweigert das Gespräch. Das jedoch ist dringend notwendig.
Michael.Schleicher@ovb.net