Ärger um den Dauer-Demonstranten

von Redaktion

VON MIKE SCHIER UND DIRK WALTER

München – Am Freitag herrscht mal wieder verkehrte Welt. Hubert Aiwanger, im Kabinett zuständig für Wirtschaft, besucht die Weilheimer Kreisgruppe des Bauernverbands. Mit einem Selfie schickt er „Grüße aus der Bevölkerung nach Berlin!“. Quasi zeitgleich tagt in München der CSU-Vorstand mit den Verbänden des Mittelstands. Söder sagt später staatstragend: „Demonstrationen sind das eine, praktische Politik das andere.“ Ein kleiner Gruß des Ministerpräsidenten an Aiwanger, der an diesem Freitag seinen 53. Geburtstag feiert. Und: „Wirtschaftspolitik ist immer auch Chefsache.“

Seit Tagen geht das so. Aiwanger demonstriert, die CSU grummelt. Fraktionschef Klaus Holetschek nannte den Minister einen „kleinen Problembären“. Nach der Kabinettssitzung am Dienstag rüffelte Staatskanzleiminister Florian Herrmann (CSU) das „Demo-Hopping“. Aiwanger habe deshalb den Auftrag bekommen, eine Exportstrategie zu entwickeln. Pflichtgemäß kommt am Donnerstag die Pressemitteilung: Zuversicht bei der Entwicklung des bayerischen Außenhandels, verkündet Aiwanger darin. „Die Wende ist geschafft.“

Doch stoppen lässt er sich natürlich nicht. Auch am Sonntag will er in München demonstrieren – obwohl er nicht sprechen darf. Macht nichts: Er kann die Sozialen Medien bespielen, Interviews geben, Selfies machen. Auf Demos geht seine Strategie vom Mann des Volkes auf. Nicht selten wird er mit „Hubert, Hubert“-Sprechchören gefeiert. Die ersten Umfragen zeichnen aber ein anderes Bild. Im BR-Bayerntrend von Infratest dimap lagen die Freien Wähler vergangene Woche mit 13 Prozent 2,8 Punkte unter dem Wahlergebnis vom Oktober.

Inzwischen gibt es auch bei den Freien Wählern Getuschel, wobei man vor offener Kritik am Zugpferd zurückschreckt. Unpassend fanden viele, dass Aiwanger rund um die Münchner Anti-AfD-Demo erklärte: „Die Demos gegen Rechts sind vielfach von Linksextremisten unterwandert.“ Er selbst demonstrierte lieber mit Bauern und Handwerkern im Oberallgäu. 3000 Menschen, 300 Traktoren.

Seine Parteifreunde fuhren dagegen nach München. „Das war für mich ein Bedürfnis“, sagt Fraktionschef Florian Streibl. Ex-Minister Michael Piazolo betont: „Der Kampf gegen rechte Bestrebungen ist mir schon immer ein Anliegen gewesen.“ Kultusministerin Anna Stolz, als Vertraute von Aiwanger-Vorgänger Armin Grein ohnehin keine Rechtsauslegerin, faltete die AfD am Donnerstag im Bildungsausschuss zusammen und bekam Applaus von allen Fraktionen – außer der AfD. Von Aiwanger dagegen hört man keine Abgrenzung.

Der Hintergrund ist klar: Bei der Europawahl im Juni, vor allem aber der nächsten Bundestagswahl will der FW-Chef vom allgemeinen Ampel-Frust profitieren und auch der AfD ein paar Stimmen abnehmen. Aiwanger träumt von einer Regierungsbeteiligung im Bund – im Bündnis mit Union und FDP. Dazu braucht er bundesweite Bekanntheit und jubelt, wenn er in die großen Talkshows eingeladen wird. Für Demonstrationen fährt er mal schnell nach Berlin. Der Protest sei „politische Notwehr gegen eine Politik, die dieses Land aus Dummheit oder aus Absicht gegen die Wand fährt“, erklärte er vor dem Brandenburger Tor.

Bei FW-Fraktionschef Florian Streibl klingt das ganz anders. „Mir gibt das zu denken. Was passiert eigentlich in unserem Land?“, fragt er. Deutschland habe – anders als Frankreich – keine solche Demonstrationskultur, sei eher als Hort der Stabilität bekannt, sinniert er. Und jetzt jede Woche große Aufläufe? Zugleich findet Streibl aber: „Auch der Bauernverband könnte mal gegen Rechts demonstrieren.“ Die AfD wolle alle Subventionen abschaffen. „Das würde die Landwirte massiv treffen.“

Aiwanger jedenfalls will weitermachen. „Ich werde auch weiter rausgehen.“ Zur Demo am Sonntag kommt er zumindest anfangs, wohl nicht bis zum Ende. Schließlich beginnt mittags die Haushaltsklausur des Kabinetts am Tegernsee. Die CSU rechnet fest mit dem Erscheinen des Ministers.

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