Der gemeinsame Feind eint die Ampel

von Redaktion

SPD und FDP erklären die EU-Wahl zum Votum gegen rechts – Spitzen gegen die Partner gibt es kaum

München/Berlin – Olaf Scholz hat die Nase voll. Man kann das ohne Polemik sagen, denn dass der Bundeskanzler erkältet ist, kriegt bei der Europa-Delegiertenkonferenz seiner Partei im Berliner Congress Center jeder mit. Die Stimme ist belegt, und als er die Bühne verlässt, nimmt er erst mal einen tiefen Schluck aus der Wasserflasche.

Stimmlich mag Scholz schwächeln, rhetorisch allerdings ist er voll auf der Höhe. Seine 20-minütige Rede hält er frei, weniger unterkühlt als sonst, und als er am Ende warmen Applaus erhält, hat das nicht nur damit zu tun, dass angeschlagene Parteien die Reihen eben schließen.

Scholz soll neben Spitzenkandidatin Katarina Barley eine tragende Rolle spielen vor der Europawahl am 9. Juni, die Partei bewirbt sie als „Deutschlands stärkste Stimmen“. Die Nachricht hat für Aufsehen gesorgt, denn selbst in der eigenen Partei rumort es, weil die Leute mit ihm und der Ampel zu hadern beginnen. Das Bild eines zerstrittenen Haufens wird nicht zuletzt dem Kanzler angelastet.

An diesem Sonntag aber gibt es auf großer Bühne kaum Spitzen – weder bei der SPD noch bei der FDP, die ebenfalls in Berlin ihre Kandidatin kürt. Lediglich Barley wagt eine Anspielung, als sie die prekären Arbeitsverhältnisse von Angestellten großer Essens-Lieferdienste beklagt. Man habe ja etwas dagegen unternehmen wollen: „Und wer sperrt sich? Die FDP.“

Was beide Parteien eint, ist – neben besorgniserregenden Beliebtheitswerten – die Entschlossenheit, die Europawahl zu einer Abstimmung gegen Rechts zu erklären. Man müsse ein „klares Votum“ abgeben, „indem man demokratische Parteien und nicht die rechten wählt“, appelliert Scholz. Barley erwähnt Ungarns Premier Viktor Orbán, der die EU erpresse und sich mit den Milliarden aus Brüssel die Taschen fülle. Und sie zerpflückt die Positionen der AfD, von Subventionsstreichungen für Landwirte bis zum EU-Austritt. Solche Gedanken seien „Wahnsinn“.

Ein paar Kilometer weiter bei der FDP klingt das ganz ähnlich. Christian Lindner warnt eindringlich davor, die Europawahl zu einem Denkzettel für die etablierten Parteien – gemeint ist natürlich vor allem die Ampel – zu nutzen: „Es ist keine Protest-, sondern eine Gestaltungswahl.“ Die AfD sei eine Gefahr für bürgerliche Werte und Demokratie, sie wolle aus der EU einen „Steinbruch“ machen.

So viel Eintracht zwischen Rot und Gelb ist selten, auch wenn es streng genommen kein Miteinander ist, sondern das Bekämpfen eines gemeinsamen Gegners. FDP-Chef Lindner bezeichnet die Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann als „Kampfansage an die, die das europäische Gemeinschaftsprojekt zerstören wollen“.

Die Abteilung Attacke ist bei der Verteidigungsexpertin jedenfalls in guten Händen. Das bekommt auch der Kanzler zu spüren. Sie werde sich im Wahlkampf selbstverständlich auch gegen Scholz positionieren, sagt Strack-Zimmermann dem Sender „Welt TV“. Bei dem Versuch, „so viel FDP wie möglich nach Europa zu transportieren“, könne sie „nicht Rücksicht auf den Kanzler nehmen“.

Die Differenzen zwischen den beiden über Waffenlieferungen an die Ukraine sind kaum mehr zu zählen. Strack-Zimmermann hat längst die Geduld verloren, Scholz hingegen betont abermals, man werde „mit Bedacht“ und „international abgestimmt“ handeln. „Wir haben da andere Ansichten“, sagt die FDP-Frau, „insofern ist es nicht mein Kanzler.“ Die deutliche Ansage passt zum FDP-Wahlkampfmotto: „Streitbar in Europa.“ MARC  BEYER

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