Grüne wählen weibliche Doppelspitze

von Redaktion

VON LEONIE HUDELMAIER

Lindau – Eigentlich sollten Wahlen ja geheim sein. Eine Prognose will deswegen niemand so richtig abgeben. Zu ungewiss. Doch manchmal sind es die Nuancen des Applauses, die vorab schon mehr verraten. Eva Lettenbauer, Amtsinhaberin, wird nach ihrer Bewerbungsrede für den bayerischen Landesvorsitz der Grünen beklatscht, bejubelt, und einige Parteimitglieder stehen auf.

Aber nicht alle. Der Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter etwa erhebt sich. Ludwig Hartmann, Vizepräsident des Landtags, bleibt sitzen. Ein Zufall? Wohl kaum. Hartmann steht nämlich mit anderen Delegierten auf, als der Applaus jemand anderem gilt: Gisela Sengl. Lettenbauers Herausforderin. Eine Partei in Zwiespalt.

Dass sich die 323 Delegierten zwischen den beiden nur schwer entscheiden können, zeigt das knappe Ergebnis: Mit 51 Prozent zu 48 Prozent gewinnt Lettenbauer. Zehn Stimmen Unterschied.

Doch die Grünen haben die Doppelspitze quasi erfunden. Deswegen steht an diesem Samstag in der Lindauer Inselhalle ein zweiter Chef-Posten zur Wahl. Und den gewinnt Sengl, als sie sich kurzerhand zum zweiten Mal zur Wahl stellt. Mit zwölf Stimmen mehr setzt sie sich gegen Amtsinhaber Thomas von Sarnowski durch. Zuvor hatte Ludwig Sporrer seine Kandidatur überraschend zurückgezogen und sich für Sengl ausgesprochen – als symbolischer Akt des Feminismus. Jetzt haben Bayerns Grüne zwei Frauen an der Spitze.

So turbulent ging es beim Parteitag der Grünen lange nicht mehr zu. Der Stimmenverlust bei einer Landtagswahl war allerdings auch noch nie so groß wie beim letzten Mal. 2023 erzielten die Grünen 14,4 Prozent (2018: 17,6), wurden von der AfD als stärkste Oppositionspartei abgelöst. Die Parteispitze stand also unter Druck. Den Grünen gelang es vor allem nicht, jenseits der Stadtgrenzen vorzudringen. Spitzenwerte im ländlichen Raum: Fehlanzeige. Ein Kernproblem der Grünen.

Schon vor ihrem Amtsantritt 2019 wollte Lettenbauer das grüne Verhältnis zum ländlichen Raum aufbessern. Gut vier Jahre später muss die Parteispitze einräumen: „Unsere Unterstützung für ländliche Kreisverbände reicht noch nicht – da müssen wir besser werden.“ In der breiten Öffentlichkeit erfreuten sich die beiden Gesichter der Parteispitze zudem nicht gerade großer Bekanntheit.

Mit der neuen Doppelspitze könnte jetzt eine doppelte Strategie gefahren werden. „Mir war es wichtig, den Menschen am Land ein anderes Angebot zu machen“, sagt Sengl unserer Zeitung. Denn bis auf dieselbe Partei eint die beiden wenig. Lettenbauer, 31, Wirtschaftsingenieurin und Landtagsabgeordnete aus dem Stimmkreis Donau-Ries. Sengl, 63, Biobäuerin und Ex-Abgeordnete aus dem Stimmkreis Traunstein.

Mit ihrem landwirtschaftlichen Hintergrund kann Sengl wohl mehr bei wütenden Bauern punkten, von denen auch ein paar nach Lindau gekommen sind, um gegen die Ampel zu wettern. Bestimmten parteipolitischen Strömungen, also einem Flügel, will sich Sengl aber nicht zuordnen. Stattdessen legt sie ein ambitioniertes Versprechen ab: Sie will alle 91 Kreisverbände abklappern.

Bei den Delegierten ist Erleichterung zu spüren. Ein neues Gesicht mit neuer Zielgruppe. Hartmann ist zufrieden, dass es Sengl in den Vorstand geschafft hat. „Mit ihr kann man am Stammtisch sitzen“, sagt er. Sie sei die richtige Besetzung, um „Vertrauen zurückzuarbeiten und der Basis mehr Gehör zu verschaffen“, findet der Landtagsvize. Vor allem ist es das Erstarken der Rechten in Deutschland, der allen Ampel-Parteien Kopfzerbrechen bereitet – auch mit Blick auf die anstehende Europawahl. „Rechtsrutsch stoppen!“ prangt beim Parteitag im Großformat von der Bühne, vom Rednerpult und von Plakaten – wie ein Motivationsspruch in schweren Zeiten.

Vereinen statt spalten will die Partei. So steht es in einem Antrag mit dem Namen „Näher an Bayern“. Obendrauf beschlossen die Delegierten dann auch noch mehr Geld für Soziale Medien ausgeben zu wollen. Denn dort ist eine andere Partei besonders stark vertreten: die AfD.

Artikel 9 von 11