München/Berlin – Nach 45 Minuten Debatte ist der Moment erreicht, wo es richtig persönlich wird. Olaf Scholz hat sich ganz unhanseatisch in Rage geredet. So richtig. Und jetzt knöpft er sich Friedrich Merz noch ganz direkt vor. „Wenn Sie mal kritisiert werden, dann sind Sie eine Mimose“, ruft der Kanzler. „Ich finde: Wer boxt, der sollte kein Glaskinn haben.“
Haushaltswoche im Bundestag. Aussprache zum Etat des Kanzlers. Das ist immer der Moment, wo es nicht mehr ums Geld geht (was diesmal eigentlich genügend Stoff zur Auseinandersetzung hergegeben hätte), sondern ums große Ganze. Und es wird tatsächlich sehr grundsätzlich. Merz kündigt der Regierung jegliche Zusammenarbeit auf, der Kanzler spricht von „Feigheit“.
Aber der Reihe nach. Anfangs liegt noch eine etwas getragene Stimmung in der Luft, schließlich hat man eben erst gemeinsam der Opfer des Nationalsozialismus gedacht – da fällt es Friedrich Merz als erstem Redner schwer, zur Tagespolitik überzugehen. Er erinnert lieber an die „wirklich große Rede“, die Emmanuel Macron eine Woche zuvor in der Trauerstunde für Wolfgang Schäuble gehalten habe. Der französische Präsident habe dafür geworben, gemeinsam wieder die Führung in Europa zu übernehmen. „Deutschland sollte diese ausgestreckte Hand jetzt ergreifen.“
Das klingt noch recht staatstragend, ist aber schon die erste Gemeinheit des Tages – denn dass das Verhältnis zwischen Macron und Scholz nicht allzu innig ist, wissen alle im Saal. Außerdem, so tastet sich Merz weiter vor, müsse Deutschland aus einer Position der Stärke führen. Womit er bei der Innenpolitik wäre: „Die Wachstumsschwäche hat ganz überwiegend strukturelle Gründe.“ Arbeitskosten zu hoch, Bürokratie erdrückend, Energie zu einseitig auf Wind und Sonne ausgerichtet, zu große Steuerlast der Unternehmen.
Der Abstand zwischen Sozialleistungen und Arbeitslohn sei nicht groß genug, sagt Merz. „Das System Bürgergeld ist das genaue Gegenteil von dem, was wir jetzt brauchen, um die Leistungsbereitschaft wieder zu fördern.“ Dann geht es direkt gegen die SPD: „Sie sind eine Partei der subventionierten Arbeitslosigkeit geworden und nicht mehr eine Partei der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.“
Es ist bereits die dritte Attacke auf die Regierung binnen weniger Tage. Unlängst hatte Merz den Kanzler in der Debatte um Agrardiesel hart angegangen. Am Dienstag dann warf er der Ampel vor, das Wahlrecht „manipuliert“ und „der Demokratie unseres Landes schweren Schaden zugefügt“ zu haben. Am Mittwoch nun gipfelt Merz’ Auftritt in der Ankündigung, nicht mehr mit der Regierung zusammenarbeiten zu wollen. Schon der Deutschlandpakt Migration sei gekündigt worden, beim Sondervermögen der Bundeswehr habe man Absprachen gebrochen.
In der Ampel ist der Unmut groß. Merz’ Rede wird von Zwischenrufen begleitet. Auch in den Sozialen Netzwerken machen sich Abgeordnete Luft – vor allem wegen des Vorwurfs der Wahlmanipulation. „So würde die AfD argumentieren“, schimpft Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) nennt Merz einen „gefährlichen Demagogen“. Dieser Mann dürfe nicht in Verantwortung kommen.
Es bräuchte also gar nicht den Auftritt von AfD-Frau Alice Weidel („Diese Regierung hasst Deutschland“), um die Temperatur der Debatte zu erhöhen. Scholz hat schon genug, an dem er sich abarbeiten kann. Er wirft seinerseits Merz vor, den Migrationspakt aufgekündigt zu haben. „So viel Feigheit vor der eigenen Courage habe ich noch nie gesehen.“ Und überhaupt: Die CDU habe jahrelang schlecht regiert. „Wir sind dabei, all das aufzuarbeiten, was in diesem Land liegen geblieben ist. Über sehr, sehr viele Jahre sind die entscheidenden Weichen nicht gestellt worden, damit Deutschland eine industrielle Zukunft haben kann.“
Dass er in diesen Jahren lange Minister und später sogar Vizekanzler war, lässt Scholz lieber unerwähnt.