Bozen – Es sind gerade besondere Tage in Südtirol. Zeitenwende in der Landespolitik der mehrheitlich deutschsprachigen Provinz im Norden Italiens: mit einer Regierung so groß und auch so weit rechts stehend wie noch nie. Nach dem Ende ihrer jahrzehntelangen Dominanz hat sich die christdemokratische Südtiroler Volkspartei (SVP) mit gleich drei Parteien aus dem rechten Lager verbündet. Ein Vorzeichen für andere Regionen in Europa?
Die Stimmung in der Urlaubsregion mit 530 000 Einwohnern ist jedenfalls angespannt. Seit sich nach der Wahlschlappe der bisherigen „Sammelpartei“ im Herbst mit nur noch 34,5 Prozent die neue Koalition abzeichnete, kam es mehrfach zu Protestmärschen. Sogar ein Pappsarg mit den Initialen SVP wurde durch die Hauptstadt Bozen getragen. Aus Kunst und Wissenschaft gab es Offene Briefe mit Warnungen vor einer „unverhohlen neofaschistischen Politik“. Manche werfen dem alten und neuen Regierungschef Arno Kompatscher (52) einen „Pakt mit dem Teufel“ vor.
Auch gestern, bevor die neuen Minister gewählt werden sollten, zogen wieder Demonstranten vor den Landtag. Im Parlament zog sich die Debatte dann so sehr in die Länge, dass die Abstimmung am Abend auf heute verschoben wurde.
Grund der Aufregung: Zur neuen Koalition gehören auch Parteien, die teils weit rechts stehen: die Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni mit Ursprüngen im Postfaschismus, die rechtsnationale Lega von Vize-Regierungschef Matteo Salvini aus der gleichen Parteienfamilie wie die AfD sowie die Freiheitlichen, die der rechtspopulistischen FPÖ aus Österreich nahestehen. Kleinster Partner im Fünfer-Bündnis ist die konservative Bürgerliste La Civica.
Die Zusammenarbeit ist auch deshalb heikel, weil die SVP aus historischen Gründen stets großen Wert auf die Abgrenzung nach rechts gelegt hatte: Nach dem Ersten Weltkrieg wurden Südtirol und die Nachbarprovinz Trentino von Österreich abgetrennt und Italien zuerkannt. Der faschistische Diktator Benito Mussolini ließ dann mit dem Ziel einer „Italianisierung“ Leute aus dem Süden ansiedeln. Deutsch wurde an den Schulen verboten. Nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte es Jahrzehnte, bis sich die Südtiroler nach einem ersten Autonomiestatut von 1948 das Statut in seiner heutigen Form erstritten. Die SVP war dabei prägende Kraft: Auch deshalb sollte man mit Vergleichen vorsichtig sein. Aus deutscher Perspektive stehen die drei rechten SVP-Partner aber wohl recht nahe an der politischen „Brandmauer“ oder schon auf der anderen Seite. Manche meinen sogar, das neue Bündnis sei so ungefähr, als ob Markus Söder in Bayern nicht nur mit den Freien Wählern von Hubert Aiwanger auskommen müsste, sondern auch noch mit der AfD und einem Bayern-Ableger der FPÖ.
Kompatscher will davon nichts wissen. „Der Vergleich hinkt deutlich“, sagt er. „Wir bleiben, wo wir sind. Wir rücken nicht nach rechts.“ Kompatscher spricht von einer „Zweckgemeinschaft“. Damit im Kabinett alle Posten bekommen, wurde es von acht auf elf Ressortchefs vergrößert. CHRISTOPH SATOR