München – Friedrich Merz spricht von einem „vergifteten Klima“, das der Union vonseiten der Ampel entgegenschlage. Alle Angebote zur Zusammenarbeit seien von der Regierungskoalition abgelehnt worden. „Im Gegenteil, sie hat gegen uns das Wahlrecht geändert, heute übrigens schon wieder das Wahlrecht – ausdrücklich gegen unseren Willen – geändert, noch nicht einmal mit uns darüber gesprochen“, sagt am Donnerstag der Fraktionschef von CDU und CSU.
Worüber Merz spricht, das ist der Neuzuschnitt von Wahlkreisen (299 gibt es deutschlandweit) in Bayern, die der Bundestag gestern nach hitziger Diskussion mit den Stimmen der Ampel beschlossen hat. Aus Teilen der bisherigen Wahlkreise Augsburg-Land, Neu-Ulm und Ostallgäu soll ein zusätzlicher Wahlkreis Memmingen-Unterallgäu gebildet werden. An sich ist das kein ungewöhnlicher Vorgang, auch vor der bisher letzten Bundestagswahl 2021 wurden Wahlkreise neu zugeschnitten. Hintergrund im aktuellen Fall ist die Bevölkerungsentwicklung. Weil in Sachsen-Anhalt weniger Menschen leben als früher, soll das Land einen Wahlkreis an Bayern abgeben.
Nun habe aber bei der Frage, wie man das lösen könnte, niemand mit dem Freistaat gesprochen, ärgert man sich in Bayern. Eine viel naheliegendere Lösung sei nämlich die Bildung eines weiteren Wahlkreises in der Landeshauptstadt. Das CSU-geführte Innenministerium in München bringt dafür auch Argumente an. Der neue und der daran angrenzende Wahlkreis Ostallgäu würden künftig „hohe negative Abweichungswerte“ aufweisen. Es sei absehbar, dass beide bereits in der nächsten Wahlperiode neu zugeschnitten werden müssten. Die vorgeschlagene Einteilung widerspreche damit dem Grundsatz der Wahlkreiskontinuität.
Dass die Ampel das anders beurteilt, dahinter steckt in den Augen der Union Kalkül. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt bezeichnet das Vorgehen als „Gipfel der Dreistigkeit“. Merz spricht sogar von einer Manipulation des Wahlrechts. Mit der Änderung solle unter anderem erreicht werden, dass der Wahlkreis Augsburg-Stadt „nicht zu viele CSU-Wähler hat“ und Grünen-Politikerin Claudia Roth „bei der nächsten Bundestagswahl in Augsburg-Stadt ihren Wahlkreis behalten kann“, sagt er. Allerdings hat Roth diesen Wahlkreis 2021 gar nicht gewonnen. Er fiel mit deutlichem Vorsprung an den CSU-Abgeordneten Volker Ullrich.
Dass Merz und Dobrindt derart angefasst auf die Pläne reagieren, dürfte auch an der Vorgeschichte liegen. Erst im Juni hat der Bundestag gegen die Union ein neues Wahlrecht beschlossen, dass das Parlament verkleinern soll. Nebeneffekt: Wenn die allein in Bayern antretende CSU weniger als 5 Prozent der bundesweiten Stimmen erreicht (2021: 5,2 Prozent), fliegt sie aus dem Bundestag. Die Union klagt dagegen.
Mit Blick auf den aktuellen Streit um die Wahlkreise hält die SPD am Donnerstag mit Härte dagegen. Seit Juni 2023 habe es ein halbes Dutzend Abstimmungsrunden unter anderem mit der Union zu Änderungen der Zuschnitte gegeben. „Statt an Kompromissen mitzuarbeiten, hat die Union letztlich jegliche Einigung blockiert“, sagt Fraktionsvize Dirk Wiese der „Rheinischen Post“. Merz schade „mit seinem unverantwortlichen Halbwissen der Glaubwürdigkeit unserer Demokratie, wenn er fälschlicherweise von Wahlrechtsmanipulation spricht“, findet Wiese.
Die bayerische Abgeordnete Carolin Wagner attestiert Merz sogar „Boshaftigkeit“. Er sei es, der die Debatte vergifte und damit „den Feinden der Demokratie“ den Boden bereite. Auch Johannes Vogel, der parlamentarische Geschäftsführer der FDP, erhebt diesen Vorwurf. „Das Vertrauen in Wahlen zu beschädigen, ist Gift für unsere Demokratie.“ Die Änderung der Wahlkreiszuschnitte entspreche „1:1“ dem Vorschlag der Bundeswahlleiterin.