Brüssel – Der Weg für milliardenschwere neue Ukraine-Hilfen der EU ist nach wochenlanger Blockade durch den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán frei. Der Rechtspopulist zog gestern bei einem EU-Sondergipfel sein Veto gegen ein Hilfspaket im Umfang von 50 Milliarden Euro zurück. Es soll dazu beitragen, dass der ukrainische Staat nicht pleitegeht.
Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich zufrieden. Die Einigung sei eine gute Botschaft für die EU und für die Ukraine, sagte er. „Das war ein sehr erfolgreicher Gipfel.“ EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sieht die Einigung auch als Signal an Russlands Präsidenten Wladimir Putin.
Als Gegenleistung für Orbáns Ja willigten die anderen EU-Staaten ein, einmal im Jahr auf Spitzenebene über die Umsetzung des Hilfsprogramms zu sprechen. Zudem soll es in zwei Jahren die Möglichkeit einer Überarbeitung geben. Sie wird aber nur genutzt, wenn alle 27 EU-Staaten das für nötig halten.
In der Ukraine wurde die Einigung mit Erleichterung aufgenommen. „Die fortgesetzte finanzielle Unterstützung der EU für die Ukraine wird die langfristige wirtschaftliche und finanzielle Stabilität stärken, was nicht weniger wichtig ist als militärische Hilfe und der Sanktionsdruck auf Russland“, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj.
Über das Hilfspaket hätte eigentlich schon im Dezember entschieden werden sollen – damals legte Orbán aber ein Veto ein. Die Grundlage für den jetzigen Kompromiss wurde kurz vor Gipfelbeginn bei einem Gespräch zwischen Orbán und einer kleinen Runde der mächtigsten Staats- und Regierungschefs geführt. Dabei waren neben Scholz und von der Leyen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni und Ratspräsident Charles Michel.
Was sie genau besprachen, blieb zunächst unklar. Auf Orbán war allerdings bereits vor dem Gipfel Druck ausgeübt worden. So hatten EU-Beamte eine Analyse erstellt, in der darauf hingewiesen wurde, dass im Fall eines Scheiterns des Gipfels wegen Orbán andere EU-Staaten einen Stopp sämtlicher Zahlungen an Ungarn ins Gespräch bringen könnten – was starke Auswirkungen auf Ungarns Wirtschaft hätte. Zudem wurde Orbán mit dem Entzug von Ungarns Stimmrecht bei EU-Entscheidungen gedroht.
Orbán selbst hatte vor dem Gipfel gesagt, Ungarn sei bereit, Teil einer Lösung zu sein. Voraussetzung sei allerdings, dass man jedes Jahr neu darüber entscheide, ob man weiter Geld schicken wolle. Länder wie Deutschland lehnten dies jedoch ab. Ein Grund war, dass sie der Ukraine langfristig Unterstützung zusichern wollen. Zudem ging es auch darum, Ungarn Erpressungsmöglichkeiten zu nehmen. So wird Orbán in Brüssel bereits seit Langem vorgeworfen, er versuche mithilfe einer Veto-Politik eingefrorene EU-Gelder für sein Land freizupressen. Orbán wirft Brüssel wiederum vor, mit immer neuen Auflagen die Freigabe von Mitteln zu verhindern. Es geht aktuell um 21 Milliarden Euro.
Zugeständnisse diesbezüglich gab es offenbar nicht. Orbán konnte nur erreichen, dass in der Abschlusserklärung auf Regeln für das Verfahren zum Einfrieren von EU-Geldern verwiesen wird. In diesen heißt es, die Anwendung des sogenannten Konditionalitätsmechanismus müsse „objektiv, fair, unparteiisch und faktengestützt“ erfolgen. Zudem wird betont, dass die bloße Feststellung einer Verletzung der Rechtsstaatlichkeit nicht ausreiche, um den Mechanismus auszulösen.
Mit Spannung wird nun erwartet, ob Orbán grundsätzlich einen Kurswechsel vollzieht und auch in anderen Bereichen auf Blockaden verzichtet. Ungarn verhindert etwa seit Monaten die Auszahlung von EU-Mitteln für Waffenhilfen für die Ukraine. Dagegen spricht, dass die Frustration über Orbán in den vergangenen Wochen extrem gestiegen ist und auch beim Gipfel mehrere Teilnehmer deutlich machten, dass sie seine Politik nicht mehr endlos lange akzeptieren wollen. Der Ungar soll beim Gipfel relativ klar gesagt haben, dass er den Ukraine-Kurs der EU nicht für richtig halte – aber um der Einheit willen zustimme.