Berlin wählt – mal wieder

von Redaktion

VON STEFAN KRUSE UND ANDREAS HEIMANN

Berlin – Lange Schlangen vor Wahllokalen, fehlende oder falsche Stimmzettel, mancherorts Wahlunterbrechungen – und dann noch Stimmabgaben weit nach 18 Uhr. Die Bundestagswahl am 26. September 2021 war in Berlin ein Desaster, ebenso wie die parallel abgehaltenen Wahlen auf Landes- und Bezirksebene. Nun erfolgt der zweite Teil der Wiedergutmachung.

Fast auf den Tag genau ein Jahr nach der kompletten Wiederholung der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus – bei der im Februar 2023 alles glattging – steht am Sonntag in der Hauptstadt die teilweise Wiederholung der Bundestagswahl an. Teilweise deshalb, weil nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes lediglich in einem Fünftel der 2256 Wahlbezirke neu gewählt werden muss.

Es ist die erste durch das Bundesverfassungsgericht angeordnete Wahlwiederholung in der Geschichte. Zur Stimmabgabe aufgerufen sind nun etwa 550 000 Berliner statt zuletzt knapp 2,5 Millionen. An den Mehrheitsverhältnissen im Bundestag, an der Mehrheit der Ampel, wird der Wahlgang nichts ändern. Mit 0,9 Prozent ist der Anteil der Wahlberechtigten in der Hauptstadt an deren Gesamtzahl auf Bundesebene zu gering.

Entsprechend hält sich der Wahlkampf in Grenzen, zumal den Parteien dafür Geld fehlt. In vielen Stadtteilen hängen keine Wahlplakate, Straßenstände oder Versammlungen gibt es nur hier und da. Manche befürchten, dass die Wahlbeteiligung am Sonntag deutlich niedriger sein wird als am verpatzten Superwahltag 2021, als sie 75,2 Prozent betrug.

Gesellschaftlich und medial stark präsent waren in Berlin 2024 bisher andere Themen: Die jüngsten Großdemos gegen rechts gehören dazu, zuletzt am vergangenen Samstag mit mehr als 150 000 Teilnehmern. Heiß diskutiert wurde auch, ob der Kreuzberger Drogen-Hotspot Görlitzer Park nachts verschlossen werden soll. Und auch die Liebe zwischen dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (beide CDU) war Thema.

Doch zurück zur Wahl: Aus bundespolitischer Sicht ist sie wohl maximal als kleiner Stimmungstest zu werten. Die Parteizentralen fokussieren sich eher auf die Europawahl am 9. Juni und auf die wichtigen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September.

Möglich ist am Sonntag immerhin, dass sich in einigen der zwölf Berliner Wahlkreise andere Bewerber durchsetzen als 2021 – etwa, weil sich die politische Großwetterlage seither geändert hat. Zittern müssen in ihren Wahlkreisen unter anderem der frühere Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, der grüne Politiker Stefan Gelbhaar oder Ex-Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), die 2021 allesamt ein Direktmandat errangen. Wobei das Zittern nicht allzu stark ausfallen dürfte: Alle sind über gute Listenplätze abgesichert, bleiben also im Bundestag.

Relevanz könnte die Wahl auch für einige Abgeordnete haben, die 2021 nicht direkt, sondern über Parteilisten in den Bundestag kamen. Berliner Politiker auf weniger günstigen Listenplätzen könnten ihr Mandat verlieren – womöglich sogar an 2021 erfolglose Kandidaten aus anderen Ländern, die in Berlin am Sonntag gar nicht antreten.

Kurios: SPD-Mann Müller steht weiter als Regierender Bürgermeister auf dem Stimmzettel. Das ist er seit 2021 nicht mehr. Skurril mutet auch der Fall der früheren AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann an. Sie kandidiert formell ebenfalls wieder, sitzt allerdings in Untersuchungshaft, nachdem sie Ende 2022 bei einer Razzia festgenommen wurde. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr Mitgliedschaft in einer (rechts-)terroristischen Vereinigung vor.

Andererseits wird die Wahl von 2021 eben doch nicht einfach wiederholt, die Wählerschaft selbst dürfte sich verändert haben. So dürfen diesmal auch diejenigen wählen, die in der Zwischenzeit 18 Jahre alt geworden sind. Und wer zum Beispiel aus Mainz oder München nach Berlin gezogen ist, darf sogar zum zweiten Mal nach 2021 seine Stimme abgeben, wenn in seinem jetzigen Wahlbezirk wieder gewählt wird.

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