München – Es ist ein Termin mit Brisanz. Hubert Aiwanger, der Wirtschaftsminister, an dem sich derzeit sehr lautstark die Geister scheiden, ist in den Fachausschuss des Landtags gekommen, um Bericht zu erstatten. Aber die Zuhörer im Maximilianeum erleben gleich zwei Überraschungen: Nach vielen aufgeregten Äußerungen der vergangenen Tage verläuft die Debatte bemerkenswert nüchtern und seriös. Und im Mittelpunkt steht nicht der Minister, sondern ein kleines Tierchen, das mit Wirtschaft eigentlich erstaunlich wenig zu tun hat: die Zauneidechse.
Denn diese Eidechse wird im Laufe der gut zweistündigen Debatte zum Symbol für große Bürokratie und noch größere Hürden für Investitionen in Infrastruktur und Unternehmen. Aiwanger berichtet von Bauplänen für den Parkplatz eines Tourismusunternehmens. Doch das Projekt verzögerte sich Jahr für Jahr, weil immer neue Kartierungen verlangt worden seien. Erst als man das „bis auf Ministerebene eskaliert“ habe, sei es plötzlich schneller gegangen. Der Minister sieht einen Fehler im System. Denn: „Ich kann mich nicht um jede Eidechsenkartierung kümmern.“ Aiwanger, der Kümmerer.
Die Eidechse steht also für alles, was die Unternehmen derzeit behindert – und wird im Laufe der Sitzung immer wieder aufgegriffen. Die sonstigen Kernprobleme der Wirtschaft: zu hohe Steuern, zu viel Bürokratie, zu teure Energie. Es sind Aiwangers Lieblingsthemen, aber sein Ton im Ausschuss ist ein ganz anderer als bei Demos oder in Bierzelten. Auch der Koalitionspartner CSU hatte ihm zuletzt vorgeworfen, die Kernaufgabe zu vernachlässigen. Im Ausschuss ist der 53-Jährige offensichtlich bemüht, dieses Bild geradezurücken. Seinen Bericht beginnt er demonstrativ damit, dass München Berlin den Rang als Hauptstadt der Start-ups abgelaufen habe. Eigentlich nicht sein Lieblingsthema.
Gelegentlich überrascht der Minister sogar, etwa wenn er der von der Ampel beschlossenen Wärmeplanung für alle Kommunen plötzlich Positives abgewinnt. Das berge „große Wirtschaftseffekte, wenn wir das richtig anpacken“. Voller ungewöhnlicher Zwischentöne sind auch die Sätze zur Atomkraft. Zwar warnt er davor, gegen die Pläne der tschechischen Regierung in Temelin „nicht gleich loszupoltern“. Aber auch die AKW hätten ihre Schattenseiten. „Tschernobyl und Fukushima sind nicht vergessen und die Endlagerfrage ist auch noch nicht geklärt.“
Die Reaktionen danach sind erwartbar. Die Opposition ist nicht zufrieden. „Minister Aiwanger hat länger über Eidechsen gesprochen als über ein konkretes Konzept für den Ausbau der Windkraft oder zur Beschleunigung von Verfahren“, sagt SPD-Chef Florian von Brunn. Aber immerhin der Koalitionspartner ist mit dem Auftritt zufrieden. „Er hat gut dargelegt, was er konzeptionell plant. Die Wirtschaft steht heute vor anderen Voraussetzungen als früher. Da muss die Politik mehr unterstützen – auch in Bayern“, sagt Kerstin Schreyer (CSU).
Aiwanger fühlt sich ohnehin bestätigt. Die gute Bayern-Bilanz drücke sich auch in den neun Milliarden Euro aus, die der Freistaat in den Länderfinanzausgleich zahlen müsse. „Wenn wir dieses Geld behalten dürften, dann könnten wir an den Autobahnen goldene Leitplanken montieren.“ MIKE SCHIER