„Interview“ mit Putin

US-Wahlkampf im Kreml

von Redaktion

VON MIKE SCHIER

Ein US-Talkmaster als Stichwortgeber für den russischen Präsidenten, der eine gefühlte Ewigkeit zur Geschichtsstunde ausholen darf: Nein, mit Journalismus hatte das eitle „Interview“ von Tucker Carlson mit Wladimir Putin herzlich wenig zu tun. Der Amerikaner ließ den Russen, der für die Kriegsverbrechen in Butscha oder im Theater von Mariupol verantwortlich ist, weitgehend unkritisch seine Sicht der Dinge darstellen. Aus Putins Bitte, „30 Sekunden oder eine Minute“ über historische Zusammenhänge sprechen zu dürfen, wurde eine halbe Stunde. Kritische Nachfragen klangen so: „Ich verliere den Überblick darüber, wo wir in der Geschichte gerade sind.“

Man könnte das alles als amerikanisch-russische Kuriosität abtun. Doch der Hintergrund ist leider ernst. Tucker, als Trump-Agitator selbst für „Fox News“ nicht mehr tragbar, bereitet Putin den roten Teppich, um in den beginnenden US-Wahlkampf einzugreifen. Es braucht offenbar gar keine Bots in Sozialen Netzwerken. Nein, der schlaue Putin nutzt einfach die Offenheit und Zerrissenheit westlicher Demokratien – und vertieft sie noch weiter. Während er selbst in Russland keine Kritiker duldet.

Wenige Tage nach Lenins 100. Todestag hat sich Tucker damit als „nützlicher Idiot“ erwiesen, wie es der kommunistische Revolutionär einst genannt hatte. Tucker geht es nicht um die Ukraine, sondern um die US-Innenpolitik. Auf die wird das Interview sicher Einfluss nehmen. Europa muss sich darauf einstellen, dass die US-Unterstützung gegen die Russen immer unsicherer wird.

Mike.Schier@ovb.net

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