Passau – Die Umstellung fällt noch schwer. Eigentlich will sich Klaus Ernst ja über die Linke auslassen. Als er gerade eruiert, warum es ihr „so schlecht“ geht, rutscht ihm auf einmal „meine Partei“ heraus. Schnell schiebt er ein „meine Ex-Partei“ hinterher und gelobt Besserung.
Denn seit Oktober 2023 ist die neue politische Heimat des bayerischen Bundestagsabgeordneten das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Nicht einmal drei Wochen ist es her, dass das Bündnis sich offiziell zur Partei formierte. Und schon wagt sich die Namensgeberin auf das politische Parkett in Niederbayern.
Der erste BSW-Aschermittwoch wurde also mit ziemlich heißer Nadel gestrickt. Die großen Veranstaltungsorte waren längst ausgebucht. Das Gasthaus Öller liegt 15 Bus-Minuten vom Passauer Zentrum entfernt, irgendwo links der Donau. Und trotzdem stehen schon vor dem Einlass die Menschen an, bis um die Straßenecke. Die 180 Sitzplätze im Innern reichen nicht für alle aus. Deswegen gibt es im Wintergarten eine Live-Übertragung – mit Glühwein-Ausschank. Ein klassischer Aschermittwoch mit Bier-Laune und Trachtlern ist es also nicht. Nur die Blaskapelle erinnert noch daran, dass man in Bayern ist. Wagenknechts Mission ist Wahlkampf. Es geht um jede einzelne Wählerstimme. Auf den Tischen liegen Formblätter für Unterschriften, damit das BSW zur Europawahl am 9. Juni antreten kann.
Die Menschen sind gekommen aus München, Nürnberg, Wien. Um die neue Partei kennenzulernen. Und ihre Führungsfigur zu bewundern. Manche sind sogar zum ersten Mal bei einem Politischen Aschermittwoch. Es wird deutlich: Wagenknecht ist der Dreh- und Angelpunkt dieser Partei. Wohl wissend ist ihr Name das Parteilogo.
Das Interesse der Anwesenden gründet auch auf der Enttäuschung über andere Parteien. Sie sprechen von Antworten auf die Fragen des Friedens und von den Sorgen der „einfachen Leute“.
In genau diese Kerbe schlägt Wagenknecht. „Diese Waffenlieferungen sind der pure Wahnsinn“, sagt sie über die deutsche Unterstützung der Ukraine. „Wir brauchen das Geld hier im Land – für gute Renten, für gute Gesundheitsversorgung, für eine ordentliche Infrastruktur.“ Eine Gleichung, in der sie außenpolitische gegen innenpolitische Interessen ausspielt. Tenor: Was in der Ukraine passiert, ist nicht unmittelbar unser Problem. Wagenknecht witzelt, dass der Russe vor der Tür steht, sei quasi eine „Urangst der Deutschen“. Es sei Schwachsinn, dass eine Armee, „die nicht in der Lage war, Kiew einzunehmen“, demnächst Berlin erobere oder „gar hier im schönen Bayern“ einmarschiere.
Ihre Spitzen gelten vor allem den Befürwortern eines harten Russland-Kurses. Über den bayerischen Bundestagsabgeordneten Anton Hofreiter (Grüne) sagt Wagenknecht: „Ich frage mich auch immer, wo diese ehemaligen Wehrdienstverweigerer ihre ganz exakten Militärkenntnisse herhaben“. Und die FDP-Europakandidatin nennt sie „Marie-Agnes Strack-Rheinmetall“. Die Ampel sei nicht nur die dümmste, sondern auch „die gefährlichste Regierung in Europa“.
Wagenknecht belächelt das Gendern und das „abstrakt gegen Rechtsextremismus“ Demonstrieren. Viel mehr müsse darüber geredet werden, wer die AfD so groß gemacht habe. Für sie ist klar: die Ampel-Koalition.
Irgendwann zwischen Kritik an der Gesundheitsversorgung, dem Heizungsgesetz und der Energiepolitik gleicht Wagenknechts Rede nur noch einer parteipolitischen Grundsatzkritik – ohne große Lacher. Hinten in der Ecke ist ein Mann eingenickt.
Doch am Ende strömen die Menschen von draußen in die Gaststätte, um einen Blick auf Sahra Wagenknecht zu erhaschen. Sie signiert Bücher und posiert für Selfies. Wahlkampf in Niederbayern.