München – Es ist einer der ersten Auftritte im ganz großen Rampenlicht. Stéphane Séjourné ist erst seit Januar französischer Außenminister. Davor saß er im EU-Parlament. Nun kommt der 38-Jährige nach München, wo er im Auftrag seines Chefs Emmanuel Macron über die Verteidigung Europas sprechen wird. Nicht zuletzt über die atomare Abwehr – schließlich ist Frankreich die einzige Atommacht in der EU.
„Wir müssen unsere europäische Verteidigung konzertierter organisieren“, hatte Séjourné diese Woche der „FAZ“ im Interview gesagt. Und: „Wir sollten uns darauf einigen, unser militärisches Material stärker zu vergemeinschaften, Interaktionen zwischen unseren Armeen zu schaffen und eine stärkere militärische Integration zu erreichen.“ Das ist bemerkenswert, schließlich waren es nicht zuletzt die Franzosen, die in der Vergangenheit darauf bestanden hatten, ihre eigenen Unternehmen mit Aufträgen zu versorgen.
Doch jetzt wird – sicher auch in München – darüber diskutiert, wie die europäischen Atommächte Frankreich und Großbritannien das Schutzversprechen für Europa stärken könnten, gewissermaßen als „zweite Lebensversicherung“ neben dem Beistandsversprechender Nato. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump hat die Nato-Gemeinde mit seinen Äußerungen gehörig aufgeschreckt. Laut Friedensforschungsinstitut Sipri besitzen die USA gut 5200 der weltweit 12 500 Atomwaffen. Großbritannien (225) und Frankreich (290) kommen zusammen gerade mal auf ein Zehntel davon.
Emmanuel Macron fordert seit Langem, dass sich Europa unabhängiger von der Supermacht USA machen sollte und hat Deutschland und anderen EU-Partnern wiederholt Gespräche zur atomaren Abschreckung angeboten. Kritiker werfen Frankreich allerdings vor, nur auf der Suche nach Geld für die Modernisierung seines Atomwaffenarsenals zu sein – zumal Paris hinter den Kulissen deutlich macht, dass eine Vergemeinschaftung der Kontrolle über seine Atomwaffen ausgeschlossen ist.
Die Debatte bekommt aber neue Nahrung durch Enthüllungen aus den USA. Der Sender „ABC News“ und die „New York Times“ berichteten unter Berufung auf hochrangige Regierungsvertreter, dass sich der Westen auf eine neue „ernsthafte Sicherheitsbedrohung“ einstellen muss: im Weltall stationierte russische Atomwaffen. Der Geheimdienstausschuss des Kongresses soll dafür gestimmt haben, auch den übrigen Abgeordneten Geheimunterlagen zum Thema am Freitag in einem sicheren Raum zur Einsicht bereitzustellen.
Laut den Berichten könnten mit der neuen Waffe vor allem westliche Satelliten zur militärischen Kommunikation und Aufklärung zerstört werden. Weil die neuen nuklearen Systeme Russlands aber noch in der Entwicklung seien, bestehe keine akute Gefahr. Der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus, Mike Turner, warnte dennoch vor einer neuen Sicherheitsbedrohung der USA. Der Republikaner beschrieb diese Bedrohung nur kryptisch. Trotzdem kritisierten mehrere Parlamentarier Turners öffentliche Äußerung und stellten seine Eignung als Chef des Geheimdienstausschusses infrage. Auch sein Parteifreund Mike Johnson, Vorsitzender des Repräsentantenhauses, bemühte sich, die Aufregung zu lindern: „Es besteht kein Grund zur öffentlichen Beunruhigung.“
Der Kreml jedenfalls dementierte alles: „Es ist offensichtlich, dass das Weiße Haus mit allen Tricks und Raffinessen versucht, den Kongress zur Abstimmung über das Gesetz zur Bereitstellung von Geld zu bewegen“, sagte Wladimir Putins Sprecher Dmitri Peskow. Bei dem angesprochenen Geld handelt es sich um Waffenhilfe für die Ukraine. Nach einem monatelangen Streit zwischen Demokraten und Republikanern hat der US-Senat vor wenigen Tagen die Freigabe bewilligt. Allerdings muss noch das Repräsentantenhaus zustimmen. mm