München – Auf dem kurzen Straßenabschnitt in Philadelphia tummeln sich Menschen. Aber es ist kein Gewimmel, die Menschen stehen nur auf dem Gehweg der Kensington Avenue wie angewurzelt. Als würde man bei einem Video auf die Pausetaste drücken – doch das Video der Realität läuft weiter. Es sind Frauen, Männer, Junge, Alte, aus allen Gesellschaftsschichten, die da in den USA in den ungewöhnlichsten Positionen im Fentanyl-Rausch erstarren. Weswegen das hochgefährliche Opioid auch Zombie-Droge genannt wird.
Eigentlich ist Fentanyl ein starkes Mittel gegen chronische Schmerzen, das etwa Krebspatienten verschrieben wird. Doch illegal wird das synthetische Opiod in Form von Pulvern, Pflastern, Tabletten oder Flüssigkeiten als Droge missbraucht. Es wirkt 100 Mal stärker als Morphium, 50 Mal stärker als Heroin. Schon die kleinste Menge ist tödlich. Die Suchtgefahr: enorm. 100 000 Menschen sterben jährlich in den USA an einer Überdosis.
Es ist eine Opioid-Krise, eine Fentanyl-Epidemie, die sich unlängst nicht mehr nur auf die USA beschränkt. „Synthetische Opioide sind in Deutschland angekommen“, erklärt Winfried Holz, Vorstand der Deutschen Aidshilfe. „Es ist nun höchste Wachsamkeit geboten.“
Im Jahr 2022 starben in Deutschland offiziell 83 Menschen an synthetischen Opioiden. Die Dunkelziffer dürfte höher sein. In einer Untersuchung der Aidshilfe wurde im letzten Jahr Fentanyl als Beimischung in 3,6 Prozent der 1400 entnommenen Heroin-Proben gefunden. Im Dezember 2023 stellte die Münchner Polizei erstmals in Bayern eine modifizierte Form – Carfentanyl – sicher.
Doch wie konnte es so weit kommen? Tatsächlich hat Fentanyl seinen Ursprung in China. Mit vor allem dort hergestellten Chemikalien wird das Opioid häufig in Mexiko produziert und von dort in die USA geschmuggelt.
Damit hat die Droge auch politische Sprengkraft. Immer wieder wird in den USA der Vorwurf laut, dass sich die Wirtschaftsmacht China zu einem Komplizen des Schmuggels macht.
Es wird sogar geunkt, dass sich China so rächt – für die Opiumkriege im 19. Jahrhundert. Diese zwangen China, sich westlichen Großmächten unterzuordnen. Für China ein „Jahrhundert der Demütigung“. In dem ohnehin schon angespannten Verhältnis zwischen den USA und China ist die Fentanyl-Krise also ein weiteres Sorgenkind.
Die USA bemühen sich dennoch, auf politischer Ebene die Epidemie in den Griff zu bekommen. Bereits im November 2023 vereinbarten der US-Präsident Joe Biden und der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador einen gemeinsamen Kampf gegen den Fentanyl-Handel. Im selben Monat beriet Biden mit Chinas Staatschef Xi Jinping über die Krise bei einem Gipfeltreffen in Kalifornien. Xi sprach damals den Drogenopfern sein Mitgefühl aus und versprach Maßnahmen seitens Chinas.
Der Besuch einer US-Delegation in Peking Ende Januar war dann der Startschuss für eine Arbeitsgruppe – zur Drogenbekämpfung. Seither machen chinesische Behörden tatsächlich Unternehmen dicht, blockieren Zahlungstransfers und teilen Informationen über den Handel und Transport von Drogenrohstoffen, wie es von der US-Regierung heißt. Man wünsche sich allerdings ein entschiedeneres Vorgehen.
In Europa ist Fentanyl zwar noch eine Randerscheinung. Aber nachdem die Taliban im April 2022 den Mohnanbau verboten haben – ist die harte Droge Heroin Mangelware. So wird immer häufiger auf vollsynthetisch hergestellte und billigere Opioide gesetzt – zumindest als Beigemisch.
Zu einer Krise wie in den USA kommt es in Deutschland laut Experten aber vorerst nicht. „Wir haben grundsätzlich andere, bessere Voraussetzungen“, sagt Burkhard Blienert (SPD), Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Denn mit der Verschreibung von starken Schmerzmitteln ist man hierzulande weitaus vorsichtiger.