Moskau – Nun hat auch Alexej Nawalny seinen unerschrockenen Kampf gegen Wladimir Putin mit dem Leben bezahlt. Der berühmteste politische Gefangene des Landes hatte immer wieder fehlende medizinische Hilfe, Schikane und Folter im Straflager beklagt. Bis zuletzt zeigte sich der sichtlich geschwächte Politiker aber bei Auftritten in Gerichtsverhandlungen entschlossen in seinem Ziel: ein „Russland ohne Putin“.
Vor allem mit seinem Kampf gegen Korruption im Machtapparat unter Putin machte sich der Jurist viele Feinde. Nawalnys Anti-Korruptions-Fonds baute in vielen Teilen des Riesenreichs eigene Strukturen auf. Als sie auch politisch an Einfluss gewannen und Nawalnys Leute gewählt wurden, ließ die Führung in Moskau das Netzwerk als „extremistisch“ verbieten. Führende Mitstreiter flohen ins Ausland. Aus dem Exil heraus setzten sie den Kampf gegen die Machtstrukturen in Putin-Russland fort. Nawalny aber blieb.
Seinem Kampf gegen das System – dazu stand Nawalny, dafür schätzten ihn seine Familie und Freunde – wollte er sich im Land selbst stellen. Auch deshalb kehrte er im Januar 2021 aus Deutschland, wo er sich von einem Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok in der Berliner Charité hatte behandeln lassen, nach Russland zurück – obwohl ihm Haft drohte. Noch am Flughafen wurde er festgenommen. Im selben Jahr erhielt er den Sacharow-Preis des Europaparlaments für geistige Freiheit, den seine Tochter Dascha entgegennahm.
Trotz der Inhaftierung gelang es Nawalny bis zuletzt, sich aus seinem sibirischen Straflager mit Mut machenden und oft humorvollen Texten an die Öffentlichkeit zu wenden. Auf 19 Jahre Haft insgesamt war die Strafe zuletzt erhöht worden. Weitere Prozesse drohten. Seine Auftritte bei Gerichtsverfahren aber lösten Entsetzen aus, weil ihm körperlicher Verfall zunehmend anzusehen war.
Ärzte appellierten an Putin, er möge als Garant der Verfassung Nawalnys Recht auf ärztliche Behandlung sicherstellen. Auch Nawalnys Ehefrau Julia hatte dem Strafvollzug geschrieben und gefragt, ob dort überhaupt noch Menschen arbeiteten. Im vergangenen Jahr beklagte sie, dass sie schon fast ein Jahr nicht mehr mit ihrem Mann habe telefonieren dürfen. „Briefe sind unser letztes Mittel der Verbindung.“ Doch zuletzt seien weder Briefe von Nawalny noch Schriftstücke an ihn zugestellt worden.
Dass die Haft im Straflager, wo viele Menschen unter ungeklärten Umständen sterben, lebensgefährlich ist, war Nawalny bewusst. Die vielen Sonderstrafen in Isolationshaft in einer zwei mal drei Meter kleinen Strafzelle setzten ihm sichtlich zu. In einem Beitrag zum zweiten Jahrestag seiner Inhaftierung schrieb Nawalny, dass ihm in Einzelhaft ein psychisch kranker Mann in eine Zelle gegenübergesetzt worden sei. „Er schreit 14 Stunden am Tag und drei in der Nacht“, so Nawalny. „Bekanntlich ist Schlafentzug eine der wirksamsten Foltern.“ Er habe viel erlebt und gelesen, aber das sei neu. ULF MAUDER