München – Rund ein Dutzend Angehörige und befreite Geiseln halten die Fotos ihrer Verwandten, die nach 134 Tagen noch immer in den Fängen der Hamas sind, auf dem Balkon des Bayerischen Hofs wie ein Schutzschild hoch. Ein Schutzschild gegen die immer lauter werdenden Vorwürfe, Israel gehe im Kampf gegen die Hamas zu weit. Und ein Mahnmal an die Politiker aus aller Welt unten im Saal, dass sie nicht vergessen sollten, warum Israel in diesen Krieg gegen die Hamas gezogen ist.
Die Aktion der Hamas-Opfer begleitet den Auftritt des israelischen Präsidenten Izchak Herzog auf der Siko-Bühne, der schildert, wie traumatisiert die israelische Gesellschaft durch den Terror des 7. Oktober sei – auch weil palästinensische Zivilisten das Massaker an 1200 Israelis mit Freudentänzen feierten. Dann hält Herzog ein Buch eines der Hamas-Gründer hoch, das im Gazastreifen beschlagnahmt wurde. Titel: „Das Ende der Juden“. Auf dem Umschlag ein Messer, das den Davidstern durchsticht. Das von vielen Palästinensern gelesene Buch leugne den Holocaust und spreche Juden das Existenzrecht ab. „Die Sicherheit der Welt wird durch diese Ideologie bedroht“, sagt Herzog. Das „Imperium des Bösen“ im Iran hetze nicht nur gegen Juden, sondern sei eine Gefahr für die ganze Welt – wie die Angriffe der von Teheran unterstützten Huthi im Roten Meer zeigten.
In der Analyse der Gefahr, die vom Iran ausgehe, geben die meisten Siko-Gäste Herzog Recht. Aber sonst muss der Israeli sich vor allem Kritik anhören – auch weil Israels Premier Benjamin Netanjahu in Tel Aviv ankündigt, er werde sich durch den internationalen Druck nicht von der Militär-Offensive im südlichen Gazastreifen abhalten lassen: „Wer uns an dem Einsatz in Rafah hindern will, sagt uns letztlich ‚Verliert den Krieg‘“, so Netanjahu. Das werde er nicht zulassen.
Neben den Vertretern der arabischen Staaten wird der norwegische Regierungschef Jonas Gahr Støre am deutlichsten: Es sei richtig gewesen, die Israelis in ihrem Recht auf Verteidigung zu unterstützen, aber dann sei Israel „zu weit gegangen“. Im Gazastreifen seien zwei Millionen Menschen einer schrecklichen Kriegsführung ausgesetzt. „Das wird, denke ich, ein erhebliches Sicherheitsproblem für künftige Generationen dort in der Region schaffen.“
Der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Schtajjeh fordert Israel auf, den 1,4 Millionen Palästinensern, die in den Süden des Gazastreifens geflohen sind, zu ermöglichen, „nach Hause zurückzukehren“. Ägypten werde „niemandem erlauben, die Grenze zu überschreiten“, sagt Schtajjeh auf der Sicherheitskonferenz. „Wir wollen das auch nicht“, fügt der palästinensische Regierungschef hinzu.
Einhellig beklagen die Vertreter der arabischen Staaten, aber auch US- und EU-Vertreter, dass Israel sich einer Zwei-Staaten-Lösung verweigere, ohne Alternativen vorzulegen. Der saudische Außenminister Prinz Faisal al-Saud sagt, ohne eine „Hoffnung“ für die Palästinenser, aber auch für die Sicherheit der Israelis, werde der „verrückte Teufelskreis der Gewalt“ nie enden. Wenn die israelische Regierung nicht zu „harten Entscheidungen“ bereit sei, um einen Palästinenserstaat zu ermöglichen, werde es „die nächste Explosion geben, die noch schlimmer sein wird als der 7. Oktober“.
Beim Thema Israel zeigt sich aber, was immer die Stärke der Siko war: In Hinterzimmer-Gesprächen ringen Vertreter arabischer Staaten und der USA mit Gesandten Israels um eine Waffenruhe und die Befreiung der Hamas-Geiseln. Herzog spricht von „guten Diskussionen“ mit Katars Premier und Außenminister Mohammed bin Abdulrahman al-Thani am Rande der Konferenz. Al Thani dämpft aber Herzogs Optimismus: Für Fortschritte müsse es Verbesserungen bei der humanitären Lage geben. „Die Zeit spielt nicht für uns.“